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Glückskind (German Edition)

Glückskind (German Edition)

Titel: Glückskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Uhly
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zu seiner Wohnungstür, schließt sie auf und verschwindet. Hans hat ihm verwirrt und ängstlich nachgeblickt. Aber noch bevor er sich Gedanken machen kann, wird Felizia wach. Sie schlägt ihre großen, dunklen Augen auf, dreht ihren Kopf nach oben, schaut ihn an und beginnt, leise Töne von sich zu geben. Hans vergisst die Welt dort draußen, er schließt seine Tür, legt seinen Mantel ab und wickelt Felizia aus. Setzt sich in die Küche. Legt sie auf seine Oberschenkel, ihren Hinterkopf auf seine Knie. Da sitzen sie und schauen sich an. Hans lächelt und wartet darauf, dass sie sein Lächeln erwidert. Doch sie tut nichts, liegt nur da und schaut ihm ernst und aufmerksam in die Augen. So lange und unverwandt, dass Hans plötzlich ganz unsicher wird. Skeptisch sieht sie aus, findet Hans, als mustere sie einen Fremden, als wisse sie noch nicht: Was soll ich von dem da halten? Kann ich ihm vertrauen? Kann der das überhaupt: mich großziehen? Ist der nicht ein Versager? Hat der nicht schon einmal seine Kinder verraten? Ist der nicht einer, der es nicht geschafft hat, seine Familie zu behalten? Wäre der ohne mich nicht verloren gewesen? Bin nicht ich diejenige, die ihn am Leben hält? Benutzt der mich nicht für seine eigenen Zwecke? Tut der nicht bloß so, als tue er alles nur für mich, während er in Wahrheit alles nur für sich selbst tut? Hans erträgt Felizias Blick nicht länger. Er schaut sie unsicher an, legt sie auf den Tisch und bereitet eine Milchflasche vor.
    Als Felizia die Flasche sieht, beginnt sie zu schreien. Es war nichts, denkt Hans erleichtert, sie ist nur hungrig. Nur ein hungriges, kleines Baby. Er wischt sich mit dem Handrücken über die Stirn. Was du dir alles einbildest! Er hebt Felizia hoch, legt sie in seinen Schoß und beginnt sie zu füttern. Während sie trinkt, schaut sie ihn wieder an. Ihre Augen sehen jetzt viel milder aus, geradezu dankbar blickt sie ihn an, genauso unverwandt wie zuvor. Hans ist glücklich. Eben das – das war alles nicht wahr. Das jetzt ist es.
    Als Felizia satt ist und nicht mehr mag, schläft sie nicht sofort wieder ein. Sie bleibt wach und ihre Augen wandern durch das ganze Zimmer, sie dreht sogar den Kopf hin und her. Hans trägt sie zum Fenster und zeigt ihr den blauen Himmel, die Hochhäuser auf der anderen Straßenseite, die Autos, die sich dort unten bewegen wie kleine Tierchen. Plötzlich fliegt ein Vogel vorbei, eine Krähe. Felizias Augen folgen der Bewegung. Der Vogel entfernt sich. »Ja«, sagt Hans mit sanfter Stimme, »es gibt noch viele andere Lebewesen auf der großen Erde. Und du wirst einige von ihnen kennen lernen.«
    An diesem Tag geht Hans noch einmal mit Felizia einkaufen. Er hat Herrn Wenzels Geld in der Tasche. Es fühlt sich an wie ein Fremdkörper in seinem Inneren. »Was soll ich machen?«, murmelt er vor sich hin. Das Gefühl der Abhängigkeit von einem anderen Menschen erinnert ihn an seine Frau. Wie enttäuscht war er, als sie ihm eines Tages vorhielt, er verdiene ja nicht das Geld, das sie brauchten. »Aber ich kümmere mich um die Kinder, hast du das vergessen?«, hatte er laut gesagt, um den Schmerz nicht zu spüren. »Aber wie!«, hatte sie geantwortet. »Wenn ich abends nach Hause komme, muss ich erst den Frieden wiederherstellen.«
    »Du gibst dich ja auch dafür her! Anstatt diese Angelegenheiten bei mir zu lassen. Kein Wunder, dass die Kinder zu dir kommen.«
    Sie hatten sich herumgezankt und waren getrennt zu Bett gegangen. Das war wohl der Anfang vom Ende, denkt Hans, während er an seinem Supermarkt vorbeigeht, den er erneut meidet, aus Angst, es könne auffallen, dass Hans, der Hartz-IV-Penner, plötzlich ein Baby hat. Heute ist außerdem Heike an der Kasse, mit ihr hat Hans in den letzten Jahren immer mal wieder geplaudert, wenn nicht viele Kunden da waren. Heike ist höchstens fünfzig Jahre alt, sieht aber viel jünger aus, eine hübsche Person, Hans vermisst sie sogar ein wenig. Eine Zeit lang hat er sich eingebildet, es könne etwas werden mit ihr, aber dann hat sie ihm von ihrem Freund erzählt. Mit Absicht, wie er vermutet, damit er sie in Ruhe lässt. Na ja, denkt Hans und zuckt mit den Achseln, du bist eben ein alter Narr. Und die Frauen, wer versteht schon die Frauen? Wir Männer bestimmt nicht. Wie hatte der Streit ums Geld eigentlich begonnen? Hans überquert die große Straße. Er wird auch den anderen Supermarkt heute nicht aufsuchen, deshalb muss er ein wenig weiter gehen. Ach ja, jetzt fällt es ihm wieder

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