Glückskind (German Edition)
aber genügend für einen gemütlichen Abend. »Wenn es mir nicht gut geht«, murmelt er, »wie soll es da der Kleinen gut gehen?« Auf die Zigaretten verzichtet er mit Rücksicht auf Felizia.
Der Rückweg ist lang, die beiden Einkaufstüten sind schwer. Felizia schläft geräuschvoll, ihre Backe ist gegen seine Brust gedrückt und vor Hitze gerötet. Hans schwitzt. Der Rücken schmerzt etwas stärker. Kein Wunder, denkt er, bei dem, was ich schleppe. Er muss mehrere Pausen machen, weil der Rücken immer schlimmer schmerzt. Endlich kommt er am Hauseingang an. Er kann sich kaum noch aufrecht halten. Der Schmerz strahlt jetzt ins rechte Bein aus, es zwickt in der Wade, auch das erinnert Hans an früher. Als Rolf ein Baby war, ist ihm das schon einmal passiert. Damals nahm er so lange Schmerztabletten, bis es wieder weg war. Kein Grund zur Besorgnis. Die Tatsache, dass er den Schmerz kennt, wertet Hans als mildernden Umstand. Bekanntes Leid ist halbes Leid, denkt er. Oder doppeltes, sagt ein Gedanke wie zur Antwort. Hans wiegt den Kopf. Tja. Der Fahrstuhl bringt ihn nach oben. Als er in seiner Wohnung ist, kann er Felizia nur mit Mühe auswickeln. Der Rückenschmerz macht ihn so unbeweglich, dass seine Bewegungen fahrig und ungelenk werden. Felizia erwacht und beginnt zu schreien. Fast fällt sie ihm aus den Händen, die schnelle Reaktion, zu der er gezwungen ist, verursacht einen stechenden Schmerz, und danach ist es noch schlimmer.
Er legt Felizia auf den Tisch und bereitet eine Flasche zu. Die Schmerzen sind unerträglich. Er setzt sich an den Tisch, nimmt Felizia in den Arm, dabei muss er sich seitlich drehen. Erneut gibt es einen Stich im Rücken. Hans schreit auf. Er füttert sie. Sie liegt auf dem Rücken, ihre Lippen umschließen das Mundstück der Flasche, ihre Gurgel macht unablässig Schluckbewegungen. Und währenddessen beobachtet sie Hans aufmerksam. Normalerweise lässt sie die Augenlider etwas hängen, wenn sie trinkt. Aber jetzt nicht. Hans hat das Gefühl, dass sie sieht, wie es ihm geht. Und dass sie sich Sorgen macht. Er will sie beruhigen. Er sagt: »Kleines Mädchen, schmeckt es dir? Hattest du Hunger?«
Sie reagiert nicht.
Hans hat das Gefühl, dass sie ihn durchschaut. Er sagt: »Also gut, Felizia, mein Glückskind. Ich gebe es offen zu: Ich habe höllische Schmerzen. Aber das ist nicht deine Schuld. Ich bin ein alter Narr. Hätte mir denken können, dass man nicht ohne Weiteres ein Kind an sich hängen kann, noch dazu in meinem Alter.«
Felizia trinkt. Sie schaut Hans an. Er sagt: »Mach dir keine Sorgen, ich werde uns einen Kinderwagen besorgen, dann brauche ich dich nicht mehr so viel zu tragen, du wirst sehen, wir zwei kriegen das schon hin.«
Felizia hat genug getrunken. Sie gähnt, dann schaut sie Hans an. Genauso unverwandt wie vorhin. Hans denkt: Und wenn ich es nicht hinkriege? Wenn ich wieder versage, wie beim ersten Mal? Panik steigt in ihm auf. Er unterdrückt sie schnell, denn Felizia sieht bestimmt alles, sie erscheint ihm jetzt wie ein vollkommen unbestechliches Wesen, das ihm mitten ins Herz blickt. »Hanna war auch so«, sagt Hans zu seiner eigenen Überraschung. Er sagt: »Hanna sah mich so lange an, dass ich ganz klein wurde, kleiner als sie. Und sie war doch nur ein Baby, wie du. Was sollte ich tun? Ich versuchte es mit Lächeln, doch das machte keinen Eindruck bei ihr. Wenn Karin sie anlächelte, Karin ist meine Frau, musst du wissen, das heißt: sie war meine Frau. Wenn sie sie anlächelte, dann strahlte Hanna über das ganze Gesicht. Wie machte sie das bloß? Ich versuchte, genauso zu lächeln wie Karin, aber mach du mal ein Lächeln nach. Das kann gar nicht gut gehen.« Hans runzelt die Stirn. Felizia lächelt. Er runzelt die Stirn stärker. Felizia lacht. Sie lacht und gibt kleine Lachgeräusche von sich. Hans runzelt die Stirn jetzt so stark, dass sein Gesicht zur Fratze wird. Felizia amüsiert sich köstlich, sie kann gar nicht mehr aufhören zu lachen. Hans muss nun auch lachen. Er sagt: »Du lachst, Felizia, aber das war in Wahrheit ganz traurig. Hanna war doch meine Tochter, mein eigenes Fleisch und Blut.« Er stockt.
Felizia hört auf zu lachen. Sie blickt ihn jetzt neugierig an, als warte sie auf die Fortsetzung des Unterhaltungsprogramms. Hans denkt: Kann es sein, dass Familie, Geborgenheit und Liebe gar nichts mit Glück zu tun haben? Dass das Glück etwas ganz anderes ist, etwas Eigenes, das sich nicht automatisch einstellt, wenn man alle Zutaten in einen
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