Glückskind (German Edition)
ein: Er hatte einen Video-Player gekauft, ohne Karin zu fragen. Die Kinder hatten ihm wochenlang in den Ohren gelegen, weil sie Filme sehen wollten. Er war nicht ganz billig, das muss er zugeben. Hans wiegt den Kopf hin und her, während er sich durch eine Traube aus jungen Schülern zwängt und Acht geben muss, dass keiner gegen Felizia stößt. Kälber, denkt er, ungelenke Riesenkälber. Aber dass sie gleich so ausgerastet ist, das kann Hans bis heute nicht verstehen. »Sie verdient das Geld und ich mache den Haushalt und versorge die Kinder«, murmelt er. »Das ist doch eine ganz klare Sache: Jeder arbeitet für alle.« Dass sie ihm eine Szene wegen des Video-Players gemacht hat, erscheint ihm bis heute als ein Ausdruck ihres Misstrauens. »Dabei war das eine gute Anschaffung«, sagt Hans leise vor sich her. Er geht jetzt eine lange Häuserfront entlang. Hier sieht es nicht mehr nach sozialem Wohnungsbau der achtziger Jahre aus. Hier stehen herrschaftliche Häuser aus der Gründerzeit, manche über hundert Jahre alt. Früher hatte ein jedes sogar einen Vorgarten, aber nach dem Krieg wurde die Straße erweitert. »Eine sehr gute sogar«, sagt er ein wenig lauter, so dass Felizia, deren Kopf an seinem Brustkorb ruht, im Schlaf seufzt. Das Gerät sorgte nämlich dafür, dass er nachmittags, wenn die Kinder zu Hause waren, für ein paar Stunden seine Ruhe hatte. Aber das war auch wieder falsch und führte zu einem neuen Streit. Als ob er, nur weil er zu Hause war, nicht das Bedürfnis haben durfte, mal allein zu sein und etwas für sich zu tun. »Und was tust du?«, fragte Karin ihn aufgebracht. Das war eine gute Frage, das muss Hans heute zugeben. Aber damals war sie nur wie ein weiterer Beweis ihres Misstrauens. Er verweigerte ihr die Antwort, forderte unbedingtes Vertrauen. »Du willst doch nur nicht zugeben, dass du rumhängst und nichts tust!«, schrie Karin, und Hans stürmte beleidigt aus der Wohnung und kehrte erst Stunden später wieder. Das Schlimmste war, dass sie recht hatte. Das Schlimmste war, dass er sich schuldig fühlte. Das Schlimmste war, dass er damals schon damit begonnen hatte, keinen Sinn mehr in den Dingen zu sehen. Heimlich, gewissermaßen. Nach außen hin war er immer noch der sorgende Vater. Aber nach innen war er bereits der spätere behauste Obdachlose. Hans schüttelt den Kopf. Dieser Video-Player ist wirklich der Anfang vom Ende gewesen. Oder hat es noch viel früher begonnen?
Er weiß es nicht. Er weiß nur eines: Nie wieder von einem anderen Menschen abhängig sein! Das hat Hans sich geschworen, als der Scheidungskrieg vorüber war. Als die Kinder ausgesagt hatten, dass sie bei Karin bleiben wollten. Als er das Sorgerecht verlor, weil herauskam, dass er Rolf und Hanna unter Druck gesetzt hatte. Das tut weh, das tut weh, das tut alles immer noch weh. Lieber vom Staat abhängig sein als von einer Frau. Eine Frau ist schlimmer als der Staat, denkt Hans zum x-ten Male. Aber jetzt kommt der Supermarkt in Sicht. Er wird ihn betreten mit Herrn Wenzels Geld in der Tasche, er hat keine Wahl. Hatte er damals eine Wahl? Immer hat Hans gedacht, er habe damals gewählt. Und weil er gewählt hatte, verdankte Karin es ihm, dass sie Geld verdienen durfte für die Familie. Seine Jobs, wie sie es verächtlich nannte, hätten sie auch ernährt. Vielleicht ohne die gleiche Sicherheit. Vielleicht ohne die gleichen Aussichten auf eine Karriere. Aber wer weiß? Man weiß doch nie, was passieren wird, denkt Hans mit Nachdruck. Als die elektrischen Türen des Supermarktes sich aufschieben, hat er zum ersten Mal Zweifel an seiner Meinung. Der Supermarkt ist groß, viel größer als die beiden anderen. Er ist erst vor wenigen Jahren gebaut worden. Es gibt sogar ein Kellergeschoss. Vielleicht hatte ich doch keine Wahl, denkt er, als er sich einen Einkaufswagen nimmt. Vielleicht hat man nur eine Wahl, wenn man weiß, dass man sie hat. Ich habe doch nur nachgegeben, weil Karin nicht zu Hause bleiben wollte. Als Hans beginnt, den Wagen durch die Gänge zu schieben, spürt er einen Schmerz in seinem Rücken. Bestimmt wegen Felizias Gewicht, denkt er und achtet nicht weiter darauf. Er kauft Lebensmittel für sich und Windeln und Milchpulver für die Kleine. Er hat zwar noch genügend von allem zu Hause, aber niemand, am wenigsten Herr Wenzel, soll ihm vorwerfen können, er habe das Geld nicht für Felizia verwendet. Er kommt am Regal mit den Biersorten vorbei und legt ein paar Flaschen in seinen Wagen, nicht viele,
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