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Glückskind (German Edition)

Glückskind (German Edition)

Titel: Glückskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Uhly
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meint.
    Vor dem Fahrstuhl im Erdgeschoss begegnet er Herrn Tarsi, dem Nachbarn, seinem schlechten Gewissen in Person. Er murmelt »Guten Tag«, ohne Herrn Tarsi anzuschauen. Herr Tarsi grüßt zurück. Ausländer gehen bestimmt nicht zur Polizei, denkt Hans, die haben zu viel Angst. Das ist doch beruhigend, findet er. Hans schielt verstohlen zu Herrn Tarsi hinüber. Herr Tarsi tut, als bemerke er es nicht, aber Hans hat das gesehen.
    Im Fahrstuhl stehen sie einander versetzt gegenüber. Als sie am zweiten Stock vorüberschweben, sagt Herr Tarsi plötzlich: »Ihr Enkelkind?«, und lächelt ihn freundlich an. Hans ist perplex. Sie haben noch nie mehr als Worte der Begrüßung miteinander gewechselt, und selbst das in letzter Zeit nicht mehr so richtig, wegen der Sache mit dem Flur. Er sagt: »Nein, das heißt: ja, genau, meine Enkeltochter.« Herr Tarsi blickt so freundlich interessiert, wie Hans es niemals für möglich gehalten hätte. Es wäre unhöflich, Felizia nicht herzuzeigen. Und so öffnet Hans seinen Mantel, als sie am vierten Stock vorübergleiten. Herr Tarsi kommt lächelnd näher. Hans hat ihn noch nie lächeln sehen, oder hat er es vergessen, wegen der grimmigen Blicke, die der Nachbar ihm in letzter Zeit zugeworfen hat?
    Der Fahrstuhl kommt im fünften Stock an, als Hans und Herr Tarsi zusammenstehen und die schlafende Felizia betrachten. Herr Tarsi hält die Tür auf, während er weiterschaut. Er sagt: »So ein schönes Baby!« Sein Deutsch klingt perfekt, bis auf einen kleinen Akzent. Er seufzt und sagt: »Ich erinnere mich, als meine Tochter noch klein war«, dabei zeigt er mit den Händen einen Abstand in der Luft, der Felizias Größe entspricht, »so süß war sie!«, ruft er aus. Hans lächelt und ist stolz auf sein Kind und auf sich selbst, weil er für Herrn Tarsi ein echter Großvater ist. Ein gutes Gefühl ist das, Hans genießt es. Sie verlassen den Fahrstuhl und gehen gemeinsam zu den Wohnungstüren, Hans, der Großvater, und sein Nachbar aus dem fernen Osten, ein Bild vollkommener Normalität. Und draußen bereitet die Sonne den goldenen Herbst vor.
    Hans’ Wohnungstür ist die erste. Als sie dort ankommen, bleibt Herr Tarsi noch bei ihm stehen. »Wie ist ihr Name?«, fragt er. Hans sagt: »Felizia Marie.« Er hat es gesagt, weil es nach mehr klingt, aber er bereut es sofort. Wenn nun Herr Tarsi doch die deutschen Nachrichten schaut? Schnell sagt er: »Eigentlich nur Felizia.«
    »Felizia«, wiederholt Herr Tarsi mit seinem Akzent, das Wort fällt ihm schwer. »Was bedeutet das?«
    »Es bedeutet: die Glückliche«, sagt Hans und denkt: Wenn er wüsste.
    Herr Tarsi lächelt ihn an. Er sagt: »Mit einem solchen Opa ist sie wirklich eine Glückliche!«
    Hans schaut Herrn Tarsi verdutzt an. Das meint der doch nicht ernst, denkt er, das kann doch nur Ironie sein. Aber Herr Tarsi sieht nicht aus wie jemand, der ironisch ist. Eher wirkt er wie ein Mensch, der immer genau das meint, was er sagt.
    Hans hat die Tür geöffnet, er wartet aus Höflichkeit, bis Herr Tarsi sich verabschiedet. Aber der scheint gar nicht die Absicht zu haben. Neugierig späht er an Hans vorbei in dessen Wohnung. Das gefällt Hans überhaupt nicht. Herr Tarsi bemerkt es und sagt: »Ihre Tochter ist bestimmt auch da?«
    Das ist ein Verhör, denkt Hans und sagt: »Meine Tochter ist auf einer Vortragsreise, deshalb kümmere ich mich um das Kind.« Er nickt mit Nachdruck, um es noch wahrer zu machen. Aber Herr Tarsi zeigt auf Hans’ kahl geschorenen Kopf und fragt: »Alles in Ordnung? Ich sehe Sie und denke sofort: Der Nachbar ist krank, die Ärzte haben seinen Kopf rasiert, um ein Loch hineinzumachen.«
    »Oh«, macht Hans. Das hatte er schon ganz vergessen. Jetzt begreift er, was los ist. Der wundert sich, weil sein Nachbar plötzlich nicht mehr stinkt. Die haben in den letzten Monaten bestimmt die Nase gerümpft, wenn sie an meiner Haustür vorbeigegangen sind, denkt er. Und plötzlich diese Veränderung. Und plötzlich ein Baby. Hans fühlt sich nicht mehr wohl. Er will Herrn Tarsi loswerden. Er sagt: »Hören Sie, Herr Tarsi, es tut mir leid, dass ich in den letzten Monaten nicht mehr geputzt habe. Ich will das wiedergutmachen. Sagen wir: Ich putze jetzt drei Monate lang und Sie machen Pause. In Ordnung?«
    Herr Tarsi nickt und lächelt ihn auf eine Weise an, die Hans nicht deuten kann. Dann sagt er langsam: »Ich freue mich für Sie, weil, jetzt sind Sie nicht mehr alleine.« Dann verabschiedet er sich und geht weiter,

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