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Glückskind (German Edition)

Glückskind (German Edition)

Titel: Glückskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Uhly
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die vielleicht von ihrem Gewissen geplagt wird, wenn sie eines hat, und wer weiß, was sie dann tut?
    »Ich kenne eine gute Kinderärztin, eine meiner Kundinnen hat von ihr erzählt, ihre Praxis ist ganz in der Nähe, du kannst bequem zu Fuß hingehen.«
    »Und was erzähle ich ihr?«, fragt Hans, der sich in Herrn Wenzels Obhut begibt.
    »Erzähl ihr, dass die Mutter deine Tochter ist und dass sie krank ist und nicht selbst kommen konnte.«
    »Hm«, macht Hans. Herr Wenzel ist nicht sehr kreativ, was das Lügen angeht, denkt er. Das kann ich besser. Er sagt: »Ich werde mir schon etwas Passendes ausdenken.«
    Er will zum Orangensaftglas greifen, aber Herr Wenzel sagt: »Wann wirst du gehen?«
    Hans zieht die Hand zurück. Schon wieder hat der andere eine unsichtbare Grenze überschritten.
    Herr Wenzel muss etwas bemerkt haben, denn er sagt eilig: »Es ist nämlich so, es gibt da diese Untersuchungen, die sein müssen, U eins, zwei, drei und so weiter heißen sie. Am besten, du fängst so bald wie möglich damit an.« Er lächelt, wie um den Zwang, der von ihm ausgeht, abzuschwächen. Hans sagt: »Aber ich habe keine Versicherungskarte für Felizia.«
    Herr Wenzel macht ein gerissenes Gesicht. »Auch darüber habe ich schon nachgedacht: Ärzte leisten doch diesen Eid, der sie dazu verpflichtet zu helfen, nicht wahr?« Er wartet nicht ab, bis Hans das bestätigt, sondern fährt gleich fort: »Die Ärztin muss Felizia also untersuchen, und das wird sie auch.«
    Hans will etwas einwenden, aber Herr Wenzel hebt abwehrend die Hand. »Und um das Geld mach dir keine Sorgen.«
    Geld, immer nur Geld, denkt Hans missmutig. Er sehnt sich zurück nach der Zeit, in der Herr Wenzel nur der Besitzer des Lotto-Toto-Ladens von gegenüber war und mehr nicht. Ein Fremder mit vertrautem Gesicht, einem Gesicht, das lächelte, wenn man hereinkam, wenn man bezahlte, wenn man ging, und dann war es fort und man vergaß es. Nicht so wie jetzt.
    »Ich hab eine Idee«, sagt Herr Wenzel, der offenbar glaubt, Hans’ Gesichtsausdruck zeuge von Furcht vor der Ärztin. »Wir gehen gemeinsam hin, was hältst du davon? Ich schließe meinen Laden für ein paar Stunden und wir machen uns auf zur Ärztin. Die beiden Großväter und ihre Enkeltochter.« Er lacht aufmunternd und schaut Hans erwartungsvoll an. Aber Hans ist nicht zum Lachen zu Mute. Am liebsten würde er aufspringen und Herrn Wenzel anschreien, dass er Felizia für sich allein haben will, dass er sie mit niemandem teilt, dass Herr Wenzel sich sein Geld sonst wohin stecken kann. Am liebsten würde er Felizia nehmen und den Laden verlassen und nie wieder zurückkommen, am liebsten würde er fortziehen von hier mit Felizia, ganz woanders hin, vielleicht in ein anderes Land, wie seine Frau und seine Kinder es getan haben, und noch einmal von vorn anfangen, nur er und Felizia, und er würde der ganzen Welt beweisen, dass er doch ein guter Vater sein kann, der beste Vater der Welt, der Vater, der er immer hat sein wollen und nie hat sein dürfen, weil … Hans schüttelt sich. Er wendet sich um zu Felizia, die neben ihm liegt und friedlich schläft.
    Eine leise, klare und sehr ruhige Stimme in seinem Kopf sagt: Für sie. Nicht für dich. Für sie.
    Hans versteht. Er vertraut dieser Stimme, sie kommt ihm bekannt vor, als hätte er sie vor sehr langer Zeit schon einmal gehört. Und jetzt ist sie da und gibt ihm gute Ratschläge, und Hans gibt sich einen Ruck und sagt: »Ja, das ist ein guter Gedanke. Wir gehen zusammen.« Er macht eine Pause. »Aber nicht heute.«
    »Nicht heute?«, fragt Herr Wenzel. »Wann dann?«
    Hans tut, als überlege er, aber er hat es nur eilig, fortzukommen, nur weg von Herrn Wenzel und seinem schnellen Zugriff.
    »Felizia wird gleich wach werden«, sagt er, als er sie hochnimmt und sich vor den Bauch wickelt. Er hat inzwischen Übung darin und es geht sehr schnell. Herr Wenzel schaut ihm schweigend zu. Er sieht aus wie jemand, der versucht, sich nicht anmerken zu lassen, was er denkt, findet Hans. Wie einer, der denkt: Der kann das nicht, der kriegt das nicht hin. Aber ich kann nichts sagen, denn ich habe die Kleine nicht gefunden. Wie einer, der gerne selbst ein Baby im Müll … Hans verscheucht den Gedanken. Er verabschiedet sich von Herrn Wenzel, vergisst, ihm für das Frühstück zu danken, es fällt ihm auf, als er endlich auf der Straße ist und durchatmen kann. Worauf habe ich mich da nur eingelassen, denkt er und weiß einen Moment lang nicht, was er damit

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