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Glückskind (German Edition)

Glückskind (German Edition)

Titel: Glückskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Uhly
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überrascht die Augen auf. Damit hat er nicht gerechnet.
    Frau Tarsi sagt sachlich: »Wir haben es auch gelesen.« Sie schüttelt den Kopf, als verstünde sie nicht. »Warum in aller Welt lügt sie?«

Herr Wenzel sagt: »Es ist gut, dass sie lügt. Die Polizei wird eine Babyleiche suchen.« Frau Tarsi zuckt mit den Schultern. »Aber sie wird keine finden. Und dann werden sie misstrauisch werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie hier auftauchen.«
    Hans erschrickt bei dem Gedanken an die Polizei. Er sieht sie von Wohnungstür zu Wohnungstür gehen und Fragen stellen.
    Kann man ein Baby geheim halten? Felizia ist jetzt satt. Sie räkelt sich und beginnt wieder, die Menschen, den Raum und seine Dinge mit den Augen abzutasten. Ganz ernst ist sie dabei, so ernst, dass Hans sich wieder taxiert und eingeschätzt fühlt und es nicht wagt, ihr zu lange in die Augen zu schauen.
    Eva M.s Tochter, denkt er. Ob sie sich wohl ähnlich sind? Ob sie die Welt wohl auf die gleiche Weise sehen? Warum behauptet Eva M., sie habe ihre Tochter zuerst ermordet und dann in eine Mülltonne geworfen? Hans denkt daran, dass der Müll noch gar nicht abgeholt worden ist. Die Polizei war vielleicht schon da, oder sie wird noch kommen. Aber womöglich hat Eva M. auch eine falsche Mülltonne angegeben, überlegt er. Warum? Er sagt: »Vielleicht will sie uns die Möglichkeit geben, sie vor der Polizei zu verstecken.«
    Herr Wenzel schaut Hans verblüfft an, als könne er nicht begreifen, wie man auf einen so abwegigen Gedanken kommen kann.
    Frau Tarsi aber lächelt Hans an und sagt: »Sie glauben nicht, dass Eva M. böse ist, nicht wahr? Ich auch nicht.« Sie macht ein trauriges Gesicht. »Aber bestimmt ist sie sehr verzweifelt.« Dann sagt sie mit entschlossener Miene: »Aber ich glaube, dass wir uns nach einer dauerhaften Lösung für Felizia umschauen müssen.« Sie seufzt, als sie Hans’ Furcht sieht, denn in seinen Ohren klingt es so, als müsse er sie fortgeben, und sie hat es gesehen. Feierlich sagt sie: »Sie haben dieses Kind gerettet! Sie und nur Sie werden entscheiden, was mit ihm zu geschehen hat.« Sie blickt Herrn Wenzel auffordernd an. »Das sehen Sie doch auch so, nicht wahr?«
    Herr Wenzel ist überrumpelt, er beeilt sich zu nicken und sagt: »Natürlich, Felizia ist Hans’ Enkeltochter, natürlich.«
    Hans ist Frau Tarsi dankbar für ihre klaren Worte, aber er sieht auch, dass Herr Wenzel nicht überzeugt ist. Ob er beleidigt ist, weil Hans ihn nicht als zweiten Großvater vorgestellt hat? Immerhin hat er Geld dafür bezahlt. Verdammtes Geld, fährt es ihm durch den Kopf. Er blickt erneut zu Felizia hinunter, die die sprechenden Erwachsenen genau angeschaut hat. Nun sind es schon drei, die über ihr Schicksal beraten.
    In diesem Augenblick öffnet sich am anderen Ende des Flurs die Küchentür und Herr Tarsi ruft: »Das Essen ist fertig!« Er hat tatsächlich für Hans mitgekocht, aber nun, da Herr Wenzel auch da ist, muss es für vier reichen. Hans zögert nur kurz, bevor er die Einladung dankbar annimmt. Er ist sehr hungrig, und die Aussicht, nun selbst kochen zu müssen, behagt ihm nicht. Herr Wenzel sträubt sich länger. »Aber ich bitte Sie«, sagt er und hebt die Hände, »das ist doch nicht nötig!«
    Frau Tarsi schaut ihn belustigt an: »Nicht nötig zu essen? Haben Sie denn schon?«
    »Das nicht«, gibt Herr Wenzel zu und nimmt einen neuen Anlauf, die Einladung höflich auszuschlagen, aber Frau Tarsi sagt: »Dann ist es nötig. Kommen Sie!« Mit diesen Worten geht sie voran und lässt Herrn Wenzel keine Wahl. Hans folgt ihnen mit Felizia auf dem Arm.
    Herr Tarsi empfängt sie mit dem stolzen Lächeln eines Künstlers, der sein Meisterwerk präsentiert. Er sagt: »Heute gibt es Ihnen zu Ehren Ghormeh Sabzi«, und dabei schaut er Hans an und zeigt mit ausgestrecktem Arm auf ihn. Hans wird verlegen und murmelt: »Vielen Dank.« Er schielt zu Herrn Wenzel hinüber, der gar nicht versteht, worum es geht. Dann sieht er das Essen. Vor ihnen auf dem Tisch thront eine große Schüssel mit einer undefinierbaren roten Masse, aus der unregelmäßige Hügel ragen. Auf den ersten Blick erinnert es Hans an blutige Innereien. Er lässt sich nichts anmerken und nimmt stattdessen die Reisschüssel, die danebensteht, in Augenschein. Es ist weißer Reis, der ganz harmlos aussieht, stellt er erleichtert fest. Herr Wenzel dagegen hat die Augen weit aufgerissen und starrt Herrn Tarsi ratlos an. Schüchtern sagt er: »Was ist das

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