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Glückskind (German Edition)

Glückskind (German Edition)

Titel: Glückskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Uhly
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erschöpft und hungrig in seiner Straße ankommt. Der Rücken schmerzt kaum noch, fast fühlt er sich frei an. Jetzt hat er es eilig, denn er macht sich nun doch Sorgen um Felizia. Hans will gerade das Mietshaus betreten, als ein lautes Rufen hinter ihm ertönt. Er dreht sich um und sieht Herrn Wenzel, der mit raschen, kleinen Schritten quer über die Straße auf ihn zueilt. In der Hand schwenkt er eine Zeitung.
    »Sie hat gestanden!«, ruft er ihm zu, als er näher kommt. Bevor Hans begreift, worum es geht, hält Herr Wenzel die Zeitung mit beiden Händen in die Höhe, so dass sein eigenes Gesicht nun verdeckt ist. Dort sieht man eine junge Frau, die ihren Kopf unter einer Zeitung verbirgt. Daneben steht in dicken Lettern: ›Mord am eigenen Kind!‹ Darunter in kleineren Buchstaben: ›Eva M. geständig!‹ Jetzt nimmt Herr Wenzel die Zeitung herunter und liest mit atemloser Stimme den Artikel vor. Hans hört wie betäubt zu. Als Herr Wenzel geendet hat, starren sich die beiden Männer ratlos an. Als hätte er nicht verstanden, fragt Hans nach: »Sie behauptet, dass sie ihr Kind getötet hat?«
    Herr Wenzel zuckt mit den Achseln: »Das steht da.«
    Hans sagt: »Kommen Sie mit hoch!«
    Sie fahren im Fahrstuhl nach oben. Herr Wenzel ist einigermaßen überrascht, als Hans zielstrebig an seiner eigenen Wohnungstür vorbeigeht und bei den Nachbarn läutet. Eine kleine, runde Frau öffnet die Tür und lächelt Hans an. Hans sagt: »Hallo, Frau Tarsi. Entschuldigen Sie, dass ich so spät komme.« Sie winkt ab und sagt: »Wenn es Ihnen gutgetan hat, dann war es das Richtige.« Hans fühlt sich wieder wie ein Junge, als er sagt: »Ja, es hat mir gutgetan.«
    »Sehen Sie!«, ruft Frau Tarsi aus. Dann wandern ihre Blicke neugierig zu Herrn Wenzel. »Sie haben einen Freund mitgebracht?«
    Hans will Nein sagen, aber dann überlegt er, dass Herr Wenzel beleidigt sein könnte, und sagt: »Ja, ein Freund, genau. Ihm gehört der Lotto-Toto-Laden gegenüber.«
    Sie lächelt breit und sagt: »So so, ein Lotto-Laden-Besitzer von gegenüber. So einen haben wir noch nicht hiergehabt. Willkommen in der Villa Tarsi! Treten Sie ein!«
    Sie reichen einander die Hände, dann betritt Herr Wenzel die Wohnung, gefolgt von Hans, der seit zehn Jahren nebenan wohnt und noch nie hier war.
    Es ist eine persische Wohnung, das sehen die beiden Männer sofort. Sie ist vollständig ausgelegt mit Teppichen und Läufern, die auf diesen Teppichen liegen. Alle haben verschnörkelte Muster und komplizierte Ornamente. Die Teppiche geben der Wohnung eine dunkle und warme Atmosphäre. Die Küchentür ist geschlossen, von jenseits tönen Geräusche herüber. Herr Tarsi scheint dort beschäftigt zu sein. An den Wänden im Flur hängen Bilder, die so voll sind von Menschen, Tieren, Gegenständen, Farben und Formen, dass sich alles aufeinander zu türmen scheint. Hans braucht eine Weile, bis seine Augen einen Überblick bekommen.
    »Das ist Miniaturmalerei aus dem vierzehnten Jahrhundert«, sagt Frau Tarsi leichthin, die seine Blicke bemerkt hat. »Fragen Sie meinen Mann!«
    Damit ist das Thema für sie beendet. Sie betreten das Schlafzimmer des Ehepaars Tarsi. Die Wohnung ist spiegelverkehrt zu seiner eigenen gebaut, das sieht Hans jetzt. Also gibt es auch hier eine Y-Achse, denkt er. Mitten auf dem französischen Ehebett der Tarsis, über das eine himmelblaue Tagesdecke gebreitet ist, steht eine Wiege, deren Pink so intensiv ist, dass sie wie ein Farbklecks wirkt. Dort liegt Felizia mit offenen Augen und lässt ihren Blick durch den Raum gleiten. Als sie Hans sieht, fängt sie an, über das ganze Gesicht zu strahlen und mit den Beinen zu strampeln. Ganz vorsichtig hebt Hans sie hoch und drückt sie an sich. »Felizia«, murmelt er.
    Herr Wenzel rückt dicht neben ihn, und Felizia strahlt auch ihn und Frau Tarsi an, die sich an Hans’ freie Seite gestellt hat. So stehen sie da, die Köpfe zusammengesteckt. Der Moment ist kurz, denn Felizia hat Hunger. Frau Tarsi holt eine Flasche aus der Küche, die schon vorbereitet war. Hans setzt sich auf das Ehebett der Tarsis und füttert das Kind. Niemand hat ein Wort gesprochen. Frau Tarsi schiebt einen Stuhl für Herrn Wenzel heran. Herr Wenzel setzt sich. Er räuspert sich, um Hans’ Aufmerksamkeit zu wecken, und zeigt wie nebenbei auf die Zeitung, die er immer noch in der Hand hält. Hans versteht. Er sagt: »Sie können ganz offen sprechen. Herr und Frau Tarsi wissen über alles Bescheid.«
    Da reißt Herr Wenzel

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