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Glückskind (German Edition)

Glückskind (German Edition)

Titel: Glückskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Uhly
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denn?« Frau Tarsi lacht und sagt: »Man könnte es grünen Eintopf nennen, wenn es nicht so rot wäre.«
    »Es sind rote Bohnen mit sieben verschiedenen Kräutern und Lammfleisch«, erklärt Herr Tarsi in beruhigendem Tonfall. »Haben Sie keine Angst. Es wird Ihnen gut schmecken.« Dann reibt er sich die Hände, schaut zufrieden in die Runde und beginnt, das Essen auszuteilen. Hans wird mit Felizia auf dem Arm essen. Das ist umständlich, aber nach der langen Trennung hat er das Bedürfnis, ihr nah zu sein.
    Das Essen schmeckt. Bald haben Hans und Herr Wenzel ihre Schüchternheit abgelegt und preisen Herrn Tarsis Kochkünste. Und Herr Tarsi lässt sich das mit der Würde eines Königs gefallen, spöttisch belächelt von seiner Frau.
    Als Felizia einschläft, bringt Hans sie zurück ins Schlafzimmer der Tarsis und legt sie in die pinkfarbene Wiege. Dann schaut er sich um. Auf einem weißen Nachttisch entdeckt er ein Foto von der Tochter, Haydee Tarsi. Stimmt, denkt er, so sah sie aus. Ein hübsches, nachdenkliches Mädchen war sie, das ihn nie grüßte, sondern immer nur argwöhnisch beobachtete. Wie lange ist es her, dass sie fortgegangen ist?, fragt er sich. Ein paar Jahre. Aber manchmal sieht er sie noch, meist an Wochenenden, wenn sie ihre Eltern besucht. Und ihr Kind hat er auch schon gehört, ein kleiner Junge ist es, so viel weiß er. Nichts davon hat ihn bisher interessiert. Alle Menschen sind Fremde, das war sein Leitspruch. Und Ausländer sind noch fremder. Aber nun steht er allein im Schlafzimmer seiner Nachbarn, auf deren Bett liegt ein Kind aus der Mülltonne, das er, Hans, vielleicht mehr liebt als seine eigenen Kinder. In der Küche sitzt der Kiosk-Inhaber von gegenüber und fragt nach dem Rezept für Ghormeh Sabzi, weil es ihm so gut geschmeckt hat. Eva M., die Frau mit der Zeitung auf dem Kopf, die Mutter der kleinen Marie, nach der die ganze Stadt fahndet, behauptet, sie habe ihr Kind ermordet. Und ich bin traurig und so glücklich wie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr, denkt Hans. Er schüttelt den Kopf. Das Leben ist verrückt, denkt er und fährt sich mit der Hand über die Glatze. Dann geht er zurück in die Küche.
    Dort hat Frau Tarsi inzwischen begonnen, über ihr Leben zu sprechen. Sie hat in der Ausländerbehörde der Stadt gearbeitet. »Ja, ich bin Beamtin im Ruhestand, ich bin Deutsche und stolz, Deutsche zu sein. So lange sind wir schon hier!« Sie lacht wie über einen Witz.
    Dann seufzt sie. »Eigentlich wollte ich zu Hause bleiben und Kinder hüten, aber Arya fand wegen seines steifen Beins keine Arbeit.« Sie lächelt ihren Mann liebevoll an und der zuckt mit den Schultern. »Du hättest dir einen besseren Mann aussuchen sollen«, sagt er trocken und zwinkert Hans zu, der sich wieder an seinen Platz setzt. »Ja, ja, das hätte ich«, sagt Frau Tarsi mit mildem Lächeln, »vor allem einen reichen. Dann hätte ich die fünf Kinder bekommen, die ich haben wollte.«
    »Fünf Kinder!«, ruft Herr Wenzel aus. Er hat jede Scheu abgelegt und fühlt sich wohl. »In Deutschland ist man dann schon asozial.« Frau Tarsi winkt ab, als wäre sie müde. »Ach, das liegt nicht an der Zahl der Kinder, wenn Sie mich fragen.« Sie schweigt.
    Herr Tarsi sagt zu Hans: »Sehen Sie, auch wir haben auf Felizia gewartet.«
    Herr Wenzel wiegt den Kopf und sagt: »Die einen wollen mehr Kinder und bekommen sie nicht. Und andere …« Er beendet den Satz nicht, sondern schaut in die Runde. Einen Moment lang schweigen alle betroffen.
    Dann sagt Frau Tarsi: »Diese Frau ist das unglücklichste Wesen auf Gottes Erde.« Sie sucht nach Worten. Sie sagt: »Sie hat ihr Kind geopfert.« Dann wirft sie die Hände in die Luft und ruft: »Aber wofür? Für wen?« Sie lässt die Hände sinken. Sie hat Tränen in den Augen. Herr Tarsi legt ihr eine Hand auf den Arm. Sie sagt: »Wenn Gott Abraham nicht zurückgehalten hätte, dann wäre Isaak gestorben, nicht wahr?« Sie lächelt Hans durch ihre Tränen hindurch an: »Sie sind mein Beweis, dass Gott seine Meinung bis heute nicht geändert hat.«
    Hans hat ein eigenartiges Gefühl, als Frau Tarsi diesen Satz ausgesprochen hat. Es ist, als hätte Eva M. nicht freiwillig gehandelt, als wäre sie durch ihre Tat zum Opfer höherer Mächte geworden. Er schüttelt den Kopf. Wie soll das gehen?, fragt er sich. Er weiß keine Antwort. Und ich, fragt er sich dann, habe ich meine Kinder auch geopfert? Ist es gar nicht so, dass sie sich von mir abgewandt haben? Habe am Ende ich ihnen

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