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Glückskind (German Edition)

Glückskind (German Edition)

Titel: Glückskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Uhly
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denn einer seiner früheren Jobs bestand darin, für einen Chauffeurdienst mit teuren Autos durch die Gegend zu fahren und wichtige Leute zu ihren Bestimmungsorten zu bringen und von diesen wieder abzuholen. Er war ein guter Fahrer, fuhr nie zu schnell oder zu langsam, die wichtigen Leute buchten ihn gern. Außerdem konnte man angenehme philosophische Gespräche mit ihm führen, Gespräche, die ganz zwanglos aus dem Nichts kamen und ebenso zwanglos ins Nichts führten.
    Hans denkt zurück an jene Zeit, während er durch die Straßen geht. Damals war er frei, denkt er, Karin war nur seine Freundin und nicht seine Frau, die Mutter seiner Kinder und große Geldverdienerin. Sie war begeistert von ihm und seinen Jobs, sie hielt ihn für besonders, weil er sich nicht darum bemühte, zum Establishment zu gehören. »Du bist anders als die anderen«, sagte sie, und in Hans’ Ohren klang das wie die Wahrheit. Aber es war ein großes Missverständnis, denkt er und schüttelt den Kopf. Er glaubte zu wissen, was sie meinte, als sie diesen Satz sagte. Und sie glaubte das wohl auch. Deshalb sprachen sie nicht darüber, sondern küssten sich. An einem Sommerabend unten am Fluss auf den flachen Steinen. Es war warm und überall taten Pärchen wie sie das Gleiche. Wie viele von ihnen wohl heute noch zusammen sind?, fragt Hans sich im Gehen. Wie viele sich wohl genauso verpasst haben wie wir? Denn das war es wohl, was ihnen widerfahren ist, denkt er. Oder versucht er nur, seine Schuld zu beschönigen? Und die Kinder? Ist er wirklich so schlimm gewesen, dass dieses jahrelange Schweigen gerechtfertigt ist?
    Er schwenkt auf die große Allee ein, die ihn geradewegs nach Norden bringen wird. Bald lässt er das Stadtzentrum hinter sich. Hier ist alles Universität, links und rechts, prächtige Bauten sind es, er kennt sie alle von innen. Nach seinem Studienabbruch arbeitete er bei der Verwaltung, und auch das rechtfertigte er damit, dass er nicht spießig werden wolle. Aber da war Karin schon nicht mehr so begeistert. Sie ließ ihn gewähren und studierte weiter. Sogar im neunten Monat fuhr sie noch mit dem Fahrrad in die Fakultät und besuchte ihre Vorlesungen und Seminare. Und er versuchte sich einzureden, sein Weg sei ein anderer, ein ganz eigener. Und dann kam Hanna auf die Welt, und zwei Monate später bot man Karin eine Stelle an, die sie nicht ausschlagen konnte. »Das kann ich nicht ausschlagen, Hans!«, sagte sie mit Nachdruck, als er ihre Begeisterung nicht teilen wollte.
    »Aber das sind doch genau die Spießer, gegen die du immer etwas hattest. Zu denen du nie gehören wolltest!«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Ich habe jetzt ein Kind. Da ändern sich die Dinge.«
    Das war alles. Hanna war die Erklärung für Karins Sinneswandel. Sicherheit. Festes Einkommen. Zukunftsplanung. Alles wegen Hanna. Hätten wir nicht auch anders leben können?, fragt Hans sich. Er lässt die Universitätsgegend hinter sich und ist erleichtert. In diesen Gebäuden ist es genauso muffig wie in der U-Bahn, denkt er. Es riecht nur anders. Vielleicht weil die Menschen dort andere Ängste haben, überlegt er. Warum hast du dein Studium abgebrochen, Hans?, fragt Hans sich und denkt an den Weiterbewilligungsantrag für Hartz IV, der ihm wie ein unbesteigbar hoher Berg erschienen war, bevor Felizia in sein Leben kam. Genauso unbesteigbar war dieses Studium mit seinen Referaten, Klausuren und Vorträgen, seinen Prüfungen und Verwaltungsakten, seinen Terminen, seinen Dozenten und Professoren, die ihn immer kritischer, immer kühler behandelten, je deutlicher wurde, was für einer er war. Jedenfalls keiner wie Karin. Sie zog ihr Studium durch wie ein Mensch, der keine Zeit zu verlieren hat. Eine Prüfung nach der anderen, ein Referat nach dem anderen. »Wenn ich ehrlich bin«, sagt Hans plötzlich und bleibt stehen, »war ich nur neidisch.« Er sagt es laut, damit es in der Welt ist, damit er selbst es gehört hat und sein eigener Zeuge ist und nicht mehr sagen kann, er habe nichts davon gewusst. Es tut weh, aber zugleich auch gut, weil es endlich da ist, wo es hingehört, und nicht mehr in den dunklen Winkeln von Hans’ schlechtem Gewissen herumlungern muss, ein blinder Passagier auf einem Schiff ohne Meer, in das man ihn werfen könnte.
    »Ja«, sagt er zu sich selbst, »neidisch auf die Frau, die ich liebte.« Er schüttelt den Kopf. Was für eine Liebe kann das schon gewesen sein? Dann geht er weiter.
    Es ist bereits früher Nachmittag, als Hans

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