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Glückskind (German Edition)

Glückskind (German Edition)

Titel: Glückskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Uhly
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viel gekauft. Als alles getan ist, tritt er aus der Wohnung und späht durch eines der großen Fenster im Flur nach unten. Die Polizei ist fort, nur die Müllmänner sind noch da und räumen auf. Er geht wieder zurück in seine Wohnung. Sein Hunger ist noch größer geworden, aber der Gedanke, jetzt kochen zu müssen, lähmt ihn. Am liebsten würde er nichts tun. Am liebsten würde er ein Bier trinken und fernsehen und so tun, als wäre das alles nicht passiert. Nur für ein paar Stunden, nur so lange, bis er sich wieder erholt hat und der Wirklichkeit wieder begegnen kann. Eine kleine Pause vom Leben. Er schüttelt den Kopf. »Du alter Narr«, sagt er leise. Dann geht er in die Küche und schält Kartoffeln.
    Der Tag vergeht ereignislos. Hans kocht und isst zu Mittag, er trinkt kein Bier und sieht nicht fern. Er sitzt auf seinem Stuhl und schaut die Alben durch. Fotos, so viele Fotos. Karin, jung und begehrenswert und verliebt. In ihn. Oder in den, den sie glaubt, in ihm zu sehen, weil er selbst glaubt, derjenige zu sein.
    Hans als jugendlicher Sonnyboy. Hans auf Demos, Vietnamkrieg, Radikalenerlass. Gegen Paragraf 218 mit Hanna auf den Schultern. Hanna als Baby, Hanna als Zweijährige mit Rolf im Arm, den sie kaum halten kann, aber unbedingt will.
    Rolf mit seinem strahlenden Lächeln, das ihn durch die Kindheit trug.
    Hanna, als sie anfing, sich nicht mehr von Hans fotografieren zu lassen, wie alt war sie da? Elf Jahre.
    Karin, als es längst schwierig geworden war, wann war es schwierig geworden? Eigentlich direkt am Anfang. Aber sie dachten, klärende Gespräche und Versöhnungsrituale würden solche Schwierigkeiten beheben und dann kämen sie nie wieder, denn sie hatten ja verstanden, was los gewesen war. Aber sie kamen wieder und wieder und wieder. Bis zum Schluss. Was haben wir nicht getan, denkt Hans. Wo haben wir nicht hingeschaut? Über welche Schatten sind wir nicht gesprungen?
    Karins Eltern mit Rolf und Hanna. Nie gemeinsam auf einem Foto, nie gemeinsam bei ihrer Tochter zu Besuch. Seit wie vielen Jahren hatten sie keinen Kontakt mehr, hassten einander, versuchten sie, Karin für sich und gegen den anderen einzunehmen? Hans weiß es nicht mehr. Er, groß, bärtig, schwerfällig, unbeholfen im Umgang mit den Kindern, mit Karin, die ihn behandelte, als wäre er gleichaltrig, nicht ihr Vater. Sie, in teurer Kleidung, perfekt geschminkt, lächelnd, ohne zu lächeln, posierend ohne sichtbare Haltung zu ihren Enkeln, zu Karin, zu Hans. Und dann wieder fort, für Monate, Grüße ausrichtend per Telefon über Karin. Pünktliche Geburtstagspaketsendungen für die Kinder. Beiderseits. Zwei Feinde, die um dieselben Bündnispartner buhlten. Und Hans? Hans störte sie nicht, er war ihnen nicht wichtig.
    Am Nachmittag ist Felizia lange wach. Hans trägt sie durch die Wohnung, er redet mit ihr, er macht Unsinn mit ihr, sie stehen am Fenster und schauen hinaus, bis Hans Angst bekommt, jemand könne ihn beobachten. Sie schauen sich die neuen Spielsachen an, die Felizia geschenkt bekommen hat und mit denen sie nichts anderes tun kann, als sie zu halten. Hans gibt ihr den Beißring von Herrn Wenzel und hilft ihr, ihn in den Mund zu stecken. Sie mag den Ring, sie kaut auf ihm herum und sieht Hans dabei an.
    Als sie wieder einschläft, schaltet er den Fernseher doch ein. Er sucht einen lokalen Sender und wartet auf die Fünf-Uhr-Nachrichten. Der Fall Eva M. nimmt viel Raum ein, es wird berichtet, dass die Öffentlichkeit großen Anteil nehme, dass die Polizei fieberhaft suche. Man sieht Bilder aus den ersten Tagen. Die Frau mit der Zeitung auf dem Kopf muss erneut vor den Blicken der Menschen fliehen. Aber Hans weiß jetzt, wie es unter der Zeitung aussieht, er kennt Eva M.s Gesicht, ihren Blick, er findet, dass Felizia ihrer Mutter viel stärker ähnelt als ihrem Vater, der jetzt ins Bild kommt, ein Mensch mit einem Blick wie ein Verlorener, der nicht mehr sucht, ein Mann mit einem fest zusammengepressten Kiefer, ein schmaler, knochiger Kerl, der interviewt wird, ohne dass man seine Stimme hört, denn aus dem Off wird davon erzählt, dass er inzwischen die Scheidung eingereicht hat, das Sorgerecht für die beiden älteren Kinder beantragt und eine harte Bestrafung der Mutter verlangt. Hans mag ihn nicht, aber Hans will ihn auch gar nicht mögen, seine Loyalität gilt der Täterin, warum nur? Plötzlich sieht er sein Wohnhaus im Fernsehen, er sieht das Müllauto und die Polizeiwagen, Herrn Lindner sieht er, und da steht

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