Glückskind (German Edition)
Arm bleiben, bis sie sich Herrn Wenzel zuwenden kann.
Hans setzt sich wieder hin, während Felizia sich an ihn schmiegt, und sagt zu Herrn Wenzel: »Danken Sie ihr, nicht mir. Sie hat uns beide gerettet.«
Da sitzen sie also, zwei alte Männer, über deren Schicksal ein Baby bestimmt. Und dieses Baby wird nun richtig wach und hat Hunger, und deshalb übergibt Hans Felizia Herrn Wenzel, der sie überrascht und etwas unsicher, aber auch glücklich über diese Ehre, in den Arm nimmt. Hans hat es ohne zu überlegen getan, eine ganz natürliche Geste war es, es fällt ihm erst auf, als er dem überraschten Herrn Wenzel die fertige Flasche in die Hand drückt. Felizia lacht der Flasche ungeduldig entgegen, Herr Wenzel legt sich das Kind in die Armbeuge, setzt die Flasche an, und dann sieht er wirklich aus wie ein Großvater, der seine Enkeltochter füttert, findet Hans. Er setzt sich den beiden gegenüber und beobachtet sie. Herr Wenzel schaut Felizia beim Trinken zu. Felizias Blick wandert von Herrn Wenzel zu Hans, Hans lächelt ihr zu, dann schaut sie wieder Herrn Wenzel an. Herr Wenzel blickt Hans glücklich an, er sieht aus wie ein kleiner Junge, der kaum glauben kann, dass er das Lieblingsspielzeug eines anderen auch einmal haben darf. Insgesamt, denkt Hans, hat dieser schreckliche Tag doch noch ein gutes Ende gefunden. Sein Traum vom Fudschijama fällt ihm wieder ein. Genau jetzt ist Hans sehr froh, dass er noch in seinem Körper steckt.
Am nächsten Morgen wird Hans wach, weil es regnet. Die Tropfen prasseln auf den Fenstersims. Es ist kühl geworden. Felizia schläft, Hans schaut ihr eine Weile zu. Dann steht er auf und geht in den Flur. Im Traum hat er gesehen, dass ein Teil von Felizia in der Mülltonne geblieben ist und immer noch befürchtet, dort zu sterben. Er hat sich selbst gesehen, wie er versucht, auch diesen Teil von Felizia aus der Mülltonne herauszuholen. Aber stattdessen ist er selbst hineingefallen, und dann wurde alles schwarz. Unwillig schüttelt Hans den Kopf. Er schaltet das Radio ein. Es ist kurz nach neun. Er kocht Kaffee. Er geht ins Bad und schaut sich im Spiegel an. »Du verwahrlost wieder, mein Schatz«, sagt er, ohne die Stimme zu verstellen. Es ist wahr. Wann hat er sich das letzte Mal gewaschen? Wann hat er sich rasiert? Wann hat er gefegt, geputzt, gewaschen, gespült? Hans seufzt, da ist es wieder, das Gefühl, nicht zu können. »Aber so ist es doch gar nicht, du Dummkopf!«, herrscht er sich an, wie sein eigener Vater ihn einst anherrschte, als er noch klein war, und das fällt ihm jetzt zum ersten Mal auf. Da schaut er sich ratlos an. Ich darf mich nicht niedermachen, denkt er und will sich auch dafür, dass er es doch getan hat, schon wieder beschimpfen. Das ist ja schrecklich, denkt er, es geschieht automatisch! Tief durchatmen, das ist immer gut, denkt er und tut es. Dann rasiert Hans sich den Kopf und das Gesicht, steigt in die Badewanne und duscht. Ganz schnell geht das. Nach einer Viertelstunde ist er sauber und trocken. Während er sich ankleidet, denkt er darüber nach, warum es ihm so schwerfällt, Notwendiges zu tun. Es ist vielleicht gar nicht die Aufgabe, denkt er, vielleicht ist es nur der Zwang, ganz im Hier und Jetzt zu sein, der so schwierig ist. Er kehrt in die Küche zurück und frühstückt. Felizia wird wach, Hans eilt ins Schlafzimmer. Sie liegt dort und beginnt, Laute von sich zu geben, die bestimmt etwas bedeuten, aber Hans versteht nichts und antwortet mit seinen eigenen Lauten, deren Sinn er auch nicht versteht, außer dass sie sich gut anfühlen. Hans schaut auf die Uhr, es ist nicht mehr viel Zeit. Er füttert sie, wechselt ihr die Windeln und kleidet sie wieder an. Dabei erzählt er ihr vom warmen Wasser und von ihrem schönen roten Kleid, das einst Haydee Tarsi gehörte, »die du übrigens heute kennen lernen wirst, sie und ihren kleinen Sohn, hoffentlich gefällt er dir.« Kaffee trinken, Butterbrote mit Käse und Marmelade essen, einen Apfel, ein paar Trauben, Zähne putzen, Felizia warm anziehen und ins Wickeltuch stecken. »Schwer bist du geworden«, sagt er zu ihr, »das ist gut, keine Frage«, sagt er und nickt ihr zu, »aber dein Gewicht zerrt an Hans’ lädiertem Rücken, weißt du? Und das ist nicht so gut. Wir brauchen einen Kinderwagen für dich.« Aber das geht ja nicht, denkt er und seufzt. Die Polizei sucht Marie M. und Hans schiebt plötzlich einen Kinderwagen durch die Gegend. So dreist müsste man sein, denkt er, so dreist, dass
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