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Glückskind (German Edition)

Glückskind (German Edition)

Titel: Glückskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Uhly
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sogar richtig reich.« Haydee wird ungeduldig abwinken und laut dagegenhalten, es gehe doch nicht darum, das Prekariat neu zu definieren, sondern darum, die bestehenden Vorurteile für unsere – sie sagt wirklich »unsere« – Zwecke zu nutzen. Sie wird sagen: »Wir brauchen Asoziale oder zumindest Leute, die fast asozial sind. Und jung müssen sie sein, jünger als ich. Wie alt ist Eva M.? Vierundzwanzig und hat schon drei Kinder, na bitte!« Das wird sie sagen und ihr Mann wird seinen Mund halten, weil er gegen sie nicht ankommt. Er weiß nicht, dass er sorgenvoll beobachtet wird von seinem persischen Schwiegervater, der sich einen starken Mann für seine allzu dominante Tochter gewünscht hätte, aber abends im Bett wird seine Frau über ihre Lesebrille hinweg zu ihm sagen: »Was willst du? Dass ein anderer nachholt, was du versäumt hast?« Herr Tarsi wird sie von der Seite anschauen und denken: Du hast mich ja nicht gelassen. Aber er wird nichts sagen, denn wäre das nicht ein Eingeständnis ihrer Macht über ihn? Und würde er sich nicht als Nächstes in einem Boot mit Uli sitzen sehen? Er wird seiner Frau einen Kuss geben und sagen: »Du hast recht«, um das Thema zu beenden, und sie wird besänftigt sein, denn das war ihm stets das Wichtigste.
    Doch so weit ist es noch nicht, noch sitzen sie alle im Wohnzimmer auf dem Boden, es ist früher Nachmittag und jetzt wird gekocht. Felizia ist inzwischen bei Herrn Wenzel gelandet, der glücklich ist, sie halten zu dürfen. Gerade bittet Herr Tarsi Hans, ihm beim Kochen zu helfen. Hans ist einverstanden, es tut gut, nützlich zu sein. Wenn man das einmal begriffen hat, will man immer mehr davon. Er steht auf, um Herrn Tarsi in die Küche zu folgen. Er hat nicht bemerkt, dass Felizia ihn beobachtet. Nun meldet sie sich mit ängstlichen Lauten und einem flehenden Blick, den Hans noch nicht an ihr gesehen hat. Er bleibt stehen und schaut sie erstaunt an, und da werden die Laute zum Weinen und sie streckt sogar ihre Arme nach ihm aus. Hans nimmt sie Herrn Wenzel ab, der ein wenig gekränkt dreinschaut, und setzt sich wieder hin, bis sie sich beruhigt hat.
    »Tut mir leid«, sagt er zu Herrn Tarsi, aber der sagt: »Die Wünsche einer Frau gehen natürlich vor«, und schaut seinen Schwiegersohn an, der versucht, es nicht zu bemerken, weil er jetzt lieber keine Zwiebeln schneiden will.
    Frau Tarsi ist ganz ergriffen von Felizias Reaktion. Sie ruft den anderen zu: »Besser hätte sie nicht zeigen können, wie gut er ihr tut!« Und die anderen finden das auch. Aber Hans lächelt ohne Überzeugung mit, denn er betrachtet sein Findelkind, das jetzt auf seinen Beinen liegt und ihn unverwandt anschaut. So tief schaut Felizia Hans in die Augen, als wolle sie ihm einschärfen, dass er sie niemals mehr allein lassen darf. Wie viel kriegst du mit?, fragt Hans Felizia in Gedanken, und ihre Augen scheinen ihm zu sagen: alles.
    Dieser Nachmittag bei den Tarsis könnte schön sein. Uli ist mit Herrn Tarsi in die Küche gegangen, Jaavid ist hinterhergelaufen, weil er sich langweilt und endlich etwas tun will. Sie kochen zu dritt, drei Generationen ein Menü, und es schmeckt allen, vor allem Herr Wenzel ist wieder so begeistert, dass er unbedingt auch dieses Rezept haben will. Er und Herr Tarsi sitzen beim Essen nebeneinander auf ihren Sitzkissen und führen ein langes Zwiegespräch über die Zubereitung von Chelo Kabab, so heißt dieses Gericht. Die Tarsis erinnern sich daran, wo und wann sie es zum letzten Mal im Iran gegessen haben.
    »Es war in der Nacht, bevor wir das Land verlassen mussten«, sagt Frau Tarsi. Und dann erzählen sie, wie das damals war, als die Bahai vom neuen Regime noch härter verfolgt wurden als vom alten.
    Herr Tarsi sagt: »Nicht dass wir nicht an Verfolgung gewöhnt waren. Die Bahai werden verfolgt, seit es sie gibt, seit«, er rechnet kurz nach und sagt dann: »seit hundertvierundsechzig Jahren!« Er lacht auf und sagt: »Dabei geht es uns nur um das friedliche Miteinander der Religionen! Das ist schon seltsam.«
    Frau Tarsi sagt: »Mich wundert das nicht. Wir sind ja Verräter für die Schiiten, wir haben einfach den Islam weiterentwickelt. Das konnten sie nicht hinnehmen.«
    Herr Tarsi tippt mit dem Finger auf sein steifes Bein, das ausgestreckt auf dem Boden liegt – deshalb sitzt er an einer Ecke der Tafel. »Das Knie haben sie mir kaputt geschlagen. Einfach so. Bei der Ausreise. Wir gingen durch ein Spalier zum Flugzeug, eine ganze Gruppe von Bahai.

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