Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen
den Moment rational betrachtet – einleuchtend, für einen Euro sogar 1,10 Euro zu bieten? Versetzen Sie sich in die Lage des Bieters von 90 Cent, der gerade von einem anderen Bieter mit einem Euro überboten wurde. Der Bieter von 90 Cent muss nun 90 Cent bezahlen und bekommt nichts. Der Bieter des Euros erhält den Euro. Wenn der 90-Cent-Bieter nun den Bieter des Euros mit 1,10 überbietet, dann hat er zwar 10 Cent Verlust, dafür aber den Euro. Das ist besser als 90 Cent Verlust und nichts zu haben. So denkt natürlich auch der, der gerade den Euro geboten hat und nun mit 1,10 überboten wurde, und bietet 1,20 Euro, und so weiter. Am Ende überbieten sich regelmäßig zwei Bieter, die bereit sind, für einen Euro mehr als einen Euro zu zahlen. Man wirft verlorenem Geld noch mehr Geld hinterher, in der Hoffnung, die Verluste zurückzugewinnen. Wie die Glücksspieler, die noch das letzte Hemd versetzen, in dem Glauben, damit die Verluste wieder zurückzugewinnen.
Auch in der Wirtschaft gibt es dieses Phänomen. Dem bereits verlorenen Geld wird noch mehr hinterhergeworfen, obwohl eine solche »Nach-Investition« in ein bereits sinkendes Schiff geringere Chancen auf Refinanzierung hat als die Investition desselben Gelds in eine andere Geschäftschance. Diese irrationalen Kosten sind alleine dem auf Festhalten spezialisierten menschlichen Geist geschuldet, sie heißen »Sunk Costs« – Kosten, die sich nie refinanzieren können, die von vornherein unabwendbar verloren sind und die dennoch freiwillig geleistet werden, weil sich das immer noch besser anfühlt, als die Niederlage frühzeitig einzugestehen und sofort etwas anderes zu tun. Auch so sind wir. Wir investieren, obwohl wir wissen, dass das keinen Sinn macht. Wir schaden uns und anderen alleine deshalb, weil wir halt nun einmal damit angefangen haben.
Die Concorde war so ein Fall. Irgendwann zwischen Reißbrett und Montagehalle war klar, dass sie nie wirtschaftlich fliegen wird. Hätte das englisch-französische Konsortium einen realistischen Flugpreis verlangt, wäre es jeden einzelnen Kunden billiger gekommen, |47| ein Flugzeug alleine für sich zu chartern. Eine halbwegs tolerable Auslastung erreichten die Fluggesellschaften nur, indem sie die Tickets subventionierten. Vernünftig wäre gewesen, dieses verrückte Ding nicht zu bauen, Klappe zu, Vogel tot. Aber die Welt wollte den Vogel fliegen sehen. Das kostet dann halt. Ich fand die Entscheidung übrigens wunderbar. Wer einmal mit Überschallgeschwindigkeit über den Teich gekachelt ist, wird mir zustimmen, dass sich der Bau gelohnt hat. Für den englischen und französischen Steuerzahler geht diese Rechnung natürlich nicht ganz so gut auf.
Jedenfalls: Wir halten an zahllosen Dingen fest, obwohl es keinen Sinn ergibt. An wie vielen Mitarbeitern halten Unternehmer fest, nicht weil sie gut sind, sondern weil sie schon so viel in sie investiert haben? An wie vielen Prozessen halten Unternehmen fest, nicht weil sie gut sind, sondern weil der Aufwand, alle daran zu gewöhnen, so groß war? An wie vielen Technologien halten Konzerne fest, nur weil sie bei der Anschaffung Unsummen verschlungen haben? An wie vielen Gesetzen halten Staaten fest, nur weil sie so aufwändig erkämpft wurden? Jeden Tag, im Großen wie im Kleinen: Wir halten fest. Vor kurzem habe ich eine Auktion bei eBay verfolgt: IKEA-Gutschein: 50 Euro. Erfolgreiches Gebot: 64 Euro! Wir halten fest.
Sunk Life
»Scherer, gilt das mit den Sunk Costs auch im Privatleben?«, werde ich nach einem Vortrag gefragt.
»Wie meinen Sie das?«, frage ich zurück.
»Na, dass man in einer Beziehung drin ist, in der man eigentlich gar nicht mehr drin sein will, aber man hat schon so viel investiert.«
Ich sage ganz aufrichtig: »Tut mir leid, im Privaten kenne ich mich nicht so aus. Bin eher Spezialist für Neuakquise.«
Da erinnere ich mich an das Gefühl dieser besonderen Urlaubsstimmung an diesem Tag in unserer Suite mit Blick über halb Las Vegas.
Sie stellt die Frage: »Schatz, liebst du mich?«
|48| Die Sonne steht am Himmel und taucht unser Schlaf- und Wohnzimmer in weiches Licht. Eigentlich müsste ich jetzt der glücklichste Mensch auf der Welt sein. Hier in diesem schillernden Glückstempel, nach einem wunderschönen Abend, nach dieser Nacht, mit dieser wunderschönen Frau. Ich liebe diese Frau. Wirklich. Oder zumindest tue ich das, was ich für lieben halte. Ich will ohne diese Frau nicht sein. Wirklich nicht. Ein selbstverständliches,
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