Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen
uns als deutlich näher empfinden.
Halten Sie einmal den Daumen der ausgestreckten Hand neben den Mond: Sein Durchmesser ist ungefähr ein Viertel so breit wie Ihr Daumennagel, egal wo der Mond steht.
Es ist also der Größen- und Tiefenvergleich, der die optische Bewertung von Objekten ausmacht. Oder anders gesagt: Wir messen die Welt immer relativ, nie absolut. So funktioniert unsere Wahrnehmung, bei jedem von uns. Nach diesem Relationsprinzip bewerten wir nicht nur Mondscheiben, sondern alles Mögliche. Auch die Dinge, die wir haben.
Ende der 90er Jahre untersuchte ein Team von Soziologen entscheidungsrelevante Faktoren von Käufern am US-Immobilienmarkt. Unabhängig von Platzbedarf und Budget wurde ein 400 Quadratmeter großes Grundstück in einer Siedlung mit durchschnittlich 300-Quadratmeter-Parzellen wesentlich attraktiver beurteilt als ein 700-Quadratmeter-Grundstück in einer Siedlung mit Parzellen von 1 000 Quadratmeter Größe.
Aber ein kleines Grundstück ist für die Menschen nicht so schlimm, solange es größer ist als das der Nachbarn.
Dabei ist es schlicht falsch. 700 Quadratmeter sind nicht nur ein bisschen, sondern deutlich mehr als 400 Quadratmeter. Aber ein kleines Grundstück ist für die Menschen nicht so schlimm, solange |53| es größer ist als das der Nachbarn. Und ein tolles, großes Grundstück ist nichts Berauschendes, wenn die anderen Leute drum herum größere Flächen besitzen.
Wir sind lieber 1 Prozent überm Durchschnitt, als 1 Prozent hinter der Spitze.
Wir Menschen versuchen unter dem Einsatz unserer Mittel nicht das Ergebnis zu maximieren, sondern wir versuchen immer, uns an einem gefühlten, subjektiv wahrgenommenen relativen Standard zu orientieren. Die Erklärung ist genauso simpel wie entlarvend für unser Verhalten. Wir befriedigen mit diesem Vergleichsmechanismus zwei Grundbedürfnisse gleichzeitig: Das Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit – ich bin Teil einer Gruppe – und das Grundbedürfnis nach Signifikanz – ich bin etwas Besonderes in dieser Gruppe. Was dabei herauskommt: Lieber in der Hölle regieren, als im Himmel dienen! Wir leben in der reichsten Gegend der Welt, genießen den größten Wohlstand aller Zeiten, besitzen im Durchschnitt ungefähr 10 000 Gegenstände, aber sind unzufrieden. Wir streben nicht die schmucke kleine Villa in Hollywood an, sondern sparen für das mondäne Reihenhaus in Herne. Wir sind lieber 1 Prozent überm Durchschnitt, als 1 Prozent hinter der Spitze. Ich habe Betriebe bei der Sanierung beraten, in denen Mitarbeiter einer Gehaltskürzung erst dann zustimmten, wenn es andere noch härter getroffen hatte!
Die relative Einschätzung unseres Lebensstandards ist schon im Kindesalter spürbar: He, der Bruder hat ein viel größeres Lego-Paket zu Weihnachten bekommen! Das ist ungerecht! Und dann macht es schon keinen Spaß mehr, weiter auszupacken und sich über den Zusammenbau des kleinen Baggers zu freuen. Heiligabend ist gelaufen.
Die Eltern und Großeltern schütteln die Köpfe. ›Undankbarer Kerl!‹, denken sie und belehren den Trotzkopf: Sieh mal, es gibt Kinder in Afrika, die dürfen nicht mal Weihnachten feiern und bekommen gar keine Geschenke!
|54| Und dann prosten sich die gleichen Erwachsenen zu: Erstaunlich, wie gut dieser Wein vom Aldi doch ist. Die haben gar keine so schlechten Angebote da. Der Müller, der Kollege aus dem Controlling, der muss ja immer so angeben mit seinen importierten Neue-Welt-Weinen und seiner Feinschmeckerei. Das war auf der Weihnachtsfeier doch wieder oberpeinlich. Dabei schmeckt der Aldi-Wein doch viel besser. Und kostet nur ein Zehntel …
Ob wir uns nun den Mond über uns beziehungsweise das lego-Paket kleindenken oder den Mond am Horizont beziehungsweise den Aldi-Wein großdenken – in jedem Fall sind wir unzufrieden, neidisch, ungerecht, missgünstig und kleingeistig. So sind wir.
Doch, und das ist das Schlimme, wir rechnen uns damit das Leben schön. Wir suchen nichts Besseres, weil wir uns das Gute, das wir haben, besser reden, und das Bessere, das wir nicht haben, schlechter reden. Das ist Zweckoptimismus, ein auf eine bestimmte Wirkung zielender, demonstrativ zur Schau getragener Optimismus. Und wenn wir das im Nachhinein tun, wenn der Kopf schönreden oder schlechtreden muss, was der Bauch mal wieder angerichtet hat, dann ist das Postrationalität. Zweckoptimismus und Postrationalität, das ist die Wahl, die wir treffen, ja die wir vielleicht immer wieder treffen müssen,
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