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Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen

Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen

Titel: Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Scherer
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bestimmen und unsere Reaktionen die Realität. Hm, ist das richtig? Es klingt arg simpel: Wir denken zum Beispiel negativ über die Selbstständigkeit und machen uns darum nicht selbstständig, wenn sich eine Gelegenheit bietet, ja wir sehen die Gelegenheit erst gar nicht. Wir denken positiv über die Selbstständigkeit und machen uns dann auch bei nächster Gelegenheit selbstständig, weil wir ständig Gelegenheiten sehen.
    Oder wir denken negativ über unsere Erfolgschancen bei der Partnersuche und sprechen einen potenziellen Partner gar nicht an. Resultat: keines. Wir denken positiv über die Erfolgschancen und sprechen den Partner an und haben zumindest eine Chance, dass das von Erfolg oder Teilerfolg oder zumindest von einem gestärkten Selbstbewusstsein gekrönt werden könnte.
    Egal, was wir denken, wir haben immer Recht.
    Egal, was wir denken, wir haben immer Recht. Das macht es möglich, dass wir die Ansprüche ans Leben, die sich nicht erfüllen, die sich niemals erfüllen werden, aufrechterhalten. Diese vielen kleinen ewig unerfüllten Ansprüche sind die Projektionsflächen unserer Hoffnungen. Und »der Mensch gibt ebenso schwer eine Furcht auf als eine Hoffnung«, wie der deutsche Schriftsteller Otto Ludwig treffend schrieb.
    |51| Kleindenken, großreden, schönrechnen
    Wieder draußen aus dem Kloster in der Betriebsamkeit wirkt alles anders. Ich sehe die Welt glasklar. Jedes Detail. Ich steige ins Auto, der Motor springt an – was für ein Lärm! Was für ein hässliches Geräusch! Das Autoradio geht an, ich schalte das Geplärr sofort wieder aus. Unerträglich! Ich öffne das Fenster, um die Luft draußen riechen zu können. Ich fahre los und tauche ein in die verrückte, verdreckte Welt, die mir an den ersten Tagen nach dem Kloster vorkommt wie eine Dauervergewaltigung meiner Sinne.
    Und dann treffe ich Menschen und sehe sie mit anderen Augen. Ich sehe ihren Kleinmut, ihre Unzufriedenheit, den Zweckoptimismus, wie sie sich ihre klägliche Situation schönreden, den Postrationalismus, wie sie sich die Welt zurechtrechnen. Und ich halte das kaum aus. Ich bin auch einer dieser Menschen.
    Was mich fruchtbar schmerzt: Egal, wie schlecht sich die Menschen fühlen, Hauptsache, es geht ihnen besser als dem Nachbarn, dem Kollegen oder dem besten Freund. Dinge haben, Status haben, Menschen haben, zum Beispiel als Angestellte oder Ehefrau – ja so etwas gibt es, das steht für die meisten 168 Stunden die Woche im Vordergrund. Ja, wenn sie wenigstens zufrieden damit wären, was sie haben! Aber ihre Bewertung all der Sachen und Menschen ist so relativ wie die Größe des Vollmonds: Steht er kurz überm Horizont, sieht er riesig aus, wie aufgequollen, steht er hoch am Himmel, ist er klein, kompakt.
    Die »Mondtäuschung« ist ein wahrnehmungspsychologisches Phänomen. Obwohl sich kluge Köpfe wie Leonardo da Vinci oder Johannes Kepler und neuerdings die Wahrnehmungspsychologen seit vielen hundert Jahren damit beschäftigen, ist die Ursache für diese optische Täuschung noch immer nicht endgültig geklärt. Fest steht, dass sie keine physikalischen Ursachen hat. Es ist also nicht so, dass das Bild vom Mond, das auf die Netzhaut des Beobachters trifft, beim Mondaufgang oder -untergang tatsächlich größer ist, weil die Atmosphäre wie eine Linse wirkt oder bestimmte Lichtanteile herausfiltert. Maßgeblich für die nachträgliche Verfälschung der Wirklichkeit durch unser Gehirn scheint vielmehr eine ganz |52| bestimmte psychologische Fehlleistung zu sein: die verfälschte Tiefeninformation.
    Durch die vielen anderen Objekte im Sichtfeld – Häuser, Bäume, Berge – glauben wir, dass der Mond, der nahe über dem Horizont steht, relativ weit weg ist. Wenn doch so viel Zeugs zwischen uns und dem Mond ist, dann muss ja auch viel Platz zwischen uns und dem Mond sein, damit all die Objekte dazwischenpassen. Denkt unser Gehirn. Schauen wir dagegen nach oben, sehen wir nichts als den Himmel. Nichts dazwischen, das braucht nicht so viel Platz. Der Himmel wirkt deshalb nach oben flacher, am Horizont wirkt er weiter. Diesen Eindruck haben wir tagsüber auch ganz ohne Mond. Na und dann ist es eine einfache subjektive Bewertung: Weil wir als Kleinkinder gelernt haben, dass Gegenstände, die weit weg sind, kleiner aussehen, korrigiert unser Gehirn die Wahrnehmung und lässt uns die eine Mondscheibe am Horizont, die wir weiter weg wähnen, größer erscheinen als die in der Realität gleich große Mondscheibe, die wir über

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