Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen
vorgestellten Zukunft nicht aushalten. Wir halten fest an Vorsätzen, die wir nicht einhalten. An Vorurteilen, die wir nicht bestätigen können. An Gewohntem, das sich nicht bewährt hat. An Gewöhnlichem, weil der Spatz wenigstens |44| in der Hand kauert und die Taube noch auf dem Dach hockt. An Traditionen, obwohl das bedeuten würde, ein Feuer weiterzugeben – und nicht die Asche anzubeten, um mit Gustav Mahler zu sprechen. Wir halten fest am Weg durch den morgendlichen Stau. An Gewohnheiten, die uns nicht lieb sind. An Uhren, die nachgehen. An geflickten Socken. An Tassen mit Sprung. An langweiligen Leben. Tag für Tag. Und die Zahl der Tage ist endlich. Wir halten fest.
Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen immer mehrere Dinge gleichzeitig in der Hand haben wollen, und oftmals verlernt haben, loszulassen. Nur, wer loslässt, hat zwei Hände frei. Wer an alten Dingen festhält, braucht sich nicht zu wundern, dass er keine Hände für das Neue frei hat. Wenn kleine Kinder in jeder Hand ein Spielzeug haben und eines sehen, das ihnen noch besser gefällt, dann lassen sie die alten sofort fallen.
Wir müssen es machen wie die Kinder. Oder wie Agathokles von Syrakus, der im Krieg gegen die Karthager seinen Mannen befahl, die eigenen Schiffe hinter sich zu verbrennen, um jeden Gedanken an einen Rückzug von vornherein auszuschalten.
Wenn Sie an unrealistischen Vorhaben, ungetanen Taten und dauerhaften Vorstellungen festhalten, dann oft deshalb, weil Sie es allen oder vielen recht machen wollen. Das scheint sicherer, als sich mit jemandem anzulegen. Heraus kommt die Fortführung des unguten Zustands, die Perpetuierung des Ungelösten, der Unfrieden auf Dauer, das ewige Unentschieden.
Kompromisse sind ein aufgedrehter Wasserhahn, der vergessen wurde zu schließen, während wir den Boden aufwischen.
Kompromisse sind ein aufgedrehter Wasserhahn, der vergessen wurde zu schließen, während wir den Boden aufwischen. Manchmal klingt der Kompromiss ganz vernünftig. Aber irgendwie lässt die Sache uns nicht los: Haben wir einen Fehler gemacht?
|45| Sunk Costs
Oft steckt hinter den Vernunftentscheidungen und Kompromissen pure Irrationalität, schön verpackt und verschnürt von uns selbst, damit wir an unvernünftigen Zuständen festhalten können, ohne dass es uns und anderen bewusst werden muss. Manchmal ist es aber auch andersherum: Wir sind zu krassen, offensichtlichen Irrationalitäten fähig, und zwar dann, wenn unsere Bedürfnisse von uns einfordern, einen unvernünftigen Pfad zu begehen.
Das hat Martin Shubik experimentell bestätigt. Er ist Wirtschaftsmathematiker an der Yale Universität und einer der Väter der Spieltheorie. Und das Experiment geht so: Ein Euro steht in einer Auktion zum Verkauf. Das Anfangsgebot steht bei 10 Cent, geboten wird in Schritten zu 10 Cent. Der erste Bieter gibt sein Gebot ab: 20 Cent. Gewinnt er, erhält er dafür den Euro. Macht unterm Strich einen Gewinn von 80 Cent. Aber er gewinnt nur, wenn kein weiterer Bieter ein Gebot abgibt. Der nächste Bieter zieht nach: 30 Cent! Und so geht es weiter. Der normale, rationale Auktionsverlauf wäre, dass der letzte Bieter 90 Cent bietet, damit bekommt er den kleinstmöglichen Gewinn: 10 Cent. Ein Gebot von 100 Cent macht keinen Sinn, denn so hat niemand etwas gewonnen.
Nun kann man, wenn man die Menschen ein klein wenig kennt, leicht voraussagen, dass ein guter Teil der Menschen es nicht ertragen könnte, wenn ein anderer als sie selbst für 90 Cent einen Euro bekäme: Sie würden lieber dem Vorbieter mit dem letzten sinnlosen Gebot den kleinen Gewinn aus der Hand schlagen. Aber diese Form der Niedertracht interessierte Shubik gar nicht so sehr. Er baute eine Zusatzregel in die Auktion ein, die das Geschehen spannender macht: Nicht nur der Bieter mit dem höchsten Gebot, sondern auch der Bieter mit dem zweithöchsten Gebot muss den von ihm gebotenen Betrag an den Auktionator zahlen. Das erhöht schlagartig die Spannung und das Risiko des Bietens: Wird man kurz vor Schluss noch überboten, muss man trotzdem blechen.
In der Regel läuft eine solche Auktion, die ich manchmal in meinen Vorträgen durchführe, dann so ab: Die Gebote steigen bis zum Erreichen der 50-Cent-Grenze, dann bis zu 90 Cent. Und dann geht |46| es weiter! Die Gebote steigen im Durchschnitt bis über 1,30 Euro bis einer den Zuschlag erhält. Dann bekomme ich immer die 1,30 Euro vom Meistbietenden und noch 1,20 Euro vom Zweitmeistbietenden. Warum ist es – für
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