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Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen

Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen

Titel: Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Scherer
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– die einzige Chance, die wir haben, ist loszulaufen. Das hat nichts mit Gott- oder Grundvertrauen zu tun, ich sehe lediglich keine Alternative.
    Das ist wie bei der Frau, die mir sagte, sie habe Angst, sich selbstständig zu machen, da sie dann Kunden verlieren könne. Ich sagte: »Sie können gar keine Kunden verlieren, wenn Sie sich selbstständig machen, weil Sie erst mal gar keine haben. Sie können sie nur noch gewinnen. Den denkbar schlechtesten Zustand haben Sie schon heute. Fangen Sie an!«
    Perfekt pragmatisch, pragmatisch perfekt
    Schwächen sind übertriebene Stärken. Kann die Wurzel unseres Perfektionismus auch eine Stärke sein? Aber natürlich kann sie das! Der Anspruch, die beste Leistung zu liefern, der Wunsch nach Effektivität, das Ziel der Vollendung des Begonnenen, das ist ein guter Antrieb. |115| Das Ziel, das Perfektionisten anstreben, ist gut. Nur der Weg nicht.
    Perfektionismus ist perfekt, wenn wir in der Lage sind, ihn pragmatisch zu erreichen. Der pragmatische Anfang schafft einen unperfekten Zustand, oftmals ein ziemlich schlechtes Zwischenergebnis – wunderbar! Dann können wir endlich unsere Qualitäten ins Spiel bringen. Dann können Sie Ihre Perfektionisten aus dem Urlaub zurückholen und den kontinuierlichen Verbesserungsprozess, das Qualitätsmanagement und die Prozessoptimierung lostreten. Denn dann sind Sie in eine andere Phase eingetreten.
    Die Verliebtheitsphase unterscheidet sich von einer langjährigen Beziehung oder gar einer Ehe so stark wie eine Wolke von einem Meer.
    Die Kunst ist schlichtweg, den Anfang vom Ende zu unterscheiden. Ein Anfang, eine Gründung, ein Projektstart ist etwas ganz anderes als eine Konsolidierungsphase, verlangt ganz andere Eigenschaften und fühlt sich ganz anders an. Das ist das Gleiche wie bei einer jungen Beziehung: Die Verliebtheitsphase unterscheidet sich von einer langjährigen Beziehung oder gar einer Ehe so stark wie eine Wolke von einem Meer – es ist quasi ein anderer Aggregatzustand.
    Und trotzdem versuchen viele, mit den gleichen Managementgewohnheiten in den verschiedenen Stufen eines Projekts oder eines Unternehmens zu führen. Zu Beginn braucht es den Pioniergeist, der aber in der Konsolidierungsphase fehl am Platze ist. Und umgekehrt: Mit Erbsenzählerei ist noch kein Unternehmen aus der Taufe gehoben worden. Wir müssen uns passend zur Situation verhalten, nur dann können wir überleben, das ist das Grundprinzip der Evolution. Nur: Die meisten machen genau das nicht.
    Das muss man sich erst mal leisten können. Uns scheint es ja ganz schön gut zu gehen. In Deutschland lebt noch eine Generation, die gezwungen war, die Sache anders anzugehen. Nach dem Krieg haben die Städter ihre Kohlen und ihr Silberbesteck eingepackt, um sie mit den Bauern gegen Kartoffeln zu tauschen. Weil sie mussten. Es ging um Leben und Tod. Sobald es möglich war, hat diese Generation |116| dann ein Unternehmen nach dem anderen gegründet und sich in wenigen Jahrzehnten wieder an die Weltspitze der Wirtschaft zurückgekämpft. Von diesem Geist ist heute wenig geblieben. Wir müssen nichts mehr. Wir kommen immer irgendwie durch. Aber so bleibt das nicht. Wenn Sie Ihrem Konkurrenten etwas wirklich Böses wünschen wollen, dann wünschen Sie ihm die fünf besten Jahre seines Unternehmens, danach sind die meisten fett und faul geworden.
    Es gibt offenbar so eine Art Schweinezyklus des Pragmatismus. Schweinezyklus werden in den Wirtschaftswissenschaften die gegenläufigen, periodischen Schwankungen von Mangel und Überfluss genannt, seit der deutsche Agrarmarktforscher Arthur Hanau 1928 in seiner Dissertation über »die Prognose der Schweinepreise« dieses Phänomen nachwies und erklärte.
    Der Pragmatismus-Schweinezyklus geht etwa so: Geht es uns schlecht, entwickeln wir langsam und dann immer stärker Dynamik, Pioniergeist. Wenn das Feuerholz knapp wird, stehen wir auf, nehmen die Axt und gehen in den Wald. Unser Pragmatismusmuskel schwillt an, die Perfektionismusdrüse atrophiert. Das Wetter ist ungünstig? Egal. Da draußen gibt es Bären? Schlecht, aber dagegen können wir nichts machen. Die Mondphase bedeutet nichts Gutes? Achselzucken. Wir gehen trotzdem los. Und bekommen Probleme, machen Fehler. Wir lösen die Probleme, lernen aus den Fehlern. Feiern Erfolge. Wir streben auf, verbessern unsere Situation, etablieren uns. Dann treten wir in eine andere Phase ein. Der Pragmatismusmuskel schlafft ab, die Perfektionismusdrüse erhöht die Produktion.

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