Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen
sonst nicht entscheiden kann, ob die Gelegenheit eine echte Chance ist oder ein Sonderangebot des Lebens. Ich brauche also eine Idee, wohin ich will. Dann werde ich mich auch nicht mehr über den Chef aufregen, der mir die Weiterbildung nicht bezahlen will. Die meisten Menschen in unserem Land gehen davon aus, dass ihnen Bildung bezahlt wird. Zuerst die Schule, dann die Uni, und später in der Firma soll das Unternehmen den Business-English-Kurs bezahlen. Ich frage mich: Mit welcher Berechtigung besteht dieser Anspruch eigentlich? Ganz offensichtlich ist der größte Teil unserer Bevölkerung systematisch so großgezogen worden, dass die Menschen nicht bereit sind, in ihre eigene Zukunft zu investieren. Die einzigen Menschen, die in ihre persönliche Weiterbildung kräftig investieren sind – Unternehmer. Und das sicherlich deshalb, weil sie mit der Idee des Investierens vertraut sind.
Investitionen, egal ob negativ oder positiv, müssen immer dem zu erwartenden Effekt gegenübergestellt werden. Es gibt zwei Wege, das zu tun, und beide sind legitim und bestens geeignet. Der erste Weg ist der, eine Überschlagsrechnung im Kopf durchzuführen. Das mache ich öfter. Als ich die Idee für das Rednerlexikon abgewogen habe, kam ich beispielsweise recht schnell mittels Kopfrechnen zu der begründeten Einschätzung, dass sich das Investment lohnt. Die andere Methode ist die, auf seinen Musikantenknochen zu hören. So wie der Milkshake-Maschinen-Verkäufer Ray Arthur Kroc, als er kurzerhand entschieden hat, von den Brüdern Dick und Mac McDonald für 2,7 Millionen US-Dollar die Hamburger-Braterei McDonald’s zu kaufen. Er konnte unmöglich vorausberechnen, dass er mit dieser Bauchentscheidung im Laufe seines Lebens rund 500 Millionen US-Dollar Vermögen anhäufen und in die »Liste der 100 einflussreichsten Personen des 20. Jahrhunderts« des
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aufgenommen werden würde. Manchmal ist also eine ganz naive, spielerische |189| Haltung goldrichtig: »Das ist cool, das muss ich machen!« – und manchmal ist es gerade falsch. Wonach sollen Sie sich also richten? Nach der Intuition oder nach der Ratio?
Es werde Licht!
Röhrenbildschirme kauft keiner mehr, umso schlimmer, dass die Firma die besten baut.
Betriebsblindheit – heißt im Managementjargon (und inzwischen auch im Volksmund) die Herrschaft der Routine. Der fehlende Abstand, die Abwesenheit von Selbstkritik, der Mangel an Initiative, der erlahmte Gestaltungswillen. Im Geschäftsprozess minimiert sie bei augenscheinlicher Effizienz jegliche Effektivität. Und damit die Chancen im Wettbewerb. Sie wird verstärkt durch den verbreiteten Glauben daran, dass alles passabel funktioniert. Absatz? Stabil. Betriebsklima? Alles bestens. Fluktuation? Nö. Kundenzufriedenheit? Jawohl! Es läuft. Meistens ist genau das das Problem! Und dann kommt eines Tages der Einbruch. Alle reißen die Augen weit auf, denn plötzlich kann jeder sehen, was jahrelang im Dunkeln lag: Der Unternehmer ist in der Sackgasse gelandet. Röhrenbildschirme kauft keiner mehr, umso schlimmer, dass die Firma die besten baut. Handys kauft keiner mehr, jeder will ein Smartphone, obwohl die Firma Handys am kosteneffizientesten von allen herstellen kann. Die Titanic ist unsinkbar. Lehmann Bros. kann nicht Pleite gehen. Die Mauer wird auch in 100 Jahren noch stehen. Hätte bloß mal jemand rechtzeitig gegengesteuert!
Veränderung braucht Misstöne, und das ist hässlich. Also wird es vermieden. Wer nicht nach falschen Noten in der Harmonie sucht, nicht das Denkbare gleichzeitig mit dem Undenkbaren denkt, wird vom Lauf der Welt früher oder später kaltgestellt. Was ist das Gegengift gegen das dumme »Weiter so!«?
Wir wissen das alle schon seit Jahrtausenden: Der Sabbat ist im Judentum der siebte Tag der Woche. Der Ruhetag, an dem Arbeit verboten ist. Er trägt schon im Tanach, der heiligen Schrift der Juden, |190| diesen besonderen Namen. Alle anderen Tage werden ganz pragmatisch durchgezählt. Orthodoxe erledigen am Schabbes nichts, was die Halacha, die jüdische Rechtsüberlieferung, nicht erlaubt. Im Christentum hat der Sonntag, im Islam das Freitagsgebet den Sabbat abgelöst. Die Funktion, der Sinn ist gleich geblieben.
Auch in die Wirtschaft hat das Judentum einen automatischen Abstandshalter eingebaut. Das Sabbatjahr, auch Schmittah genannt, ist das letzte einer Reihe von sieben Jahren. In der Schmittah sollen Sklaven freigelassen werden, Acker und Weinberg brach bleiben. Was von selbst
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