Glücksklee
Herz. Er kann das nur nicht gut zeigen – vielleicht sogar überhaupt nicht.» Schweigend versuchte Nina zu begreifen, was Ella ihr da erklärte. «Patrick sieht die Dinge etwas … etwas anders als wir – vollkommen anders sogar.» Ella schien nach Worten zu ringen. «Du weißt doch, wie er zum Beispiel an seinen Fernsehern und den anderen Geräten herumbastelt. Er nimmt Dinge auseinander und setzt sie wieder zusammen, sodass sie perfekt funktionieren.»
Nina nickte, ohne zu verstehen, worauf Ella hinauswollte. «Eben», sagte sie. «Er kümmert sich mehr um diese verdammten Geräte als um seine eigene Tochter. Wenn ich überhaupt seine Tochter bin», fügte sie hinzu, denn plötzlich war ihr ein neuer Gedanke gekommen. «War es das?», wandte sie sich an Ella. «Hat Mum ihn deswegen geheiratet? War sie von jemand anders schwanger, und deswegen hasst Patrick mich jetzt?»
«Nein, nein. Jetzt geht deine Phantasie mit dir durch. Nichts dergleichen. Ich habe dir doch schon erzählt, dass dein Vater deine Mutter vergöttert hat. Selbstverständlich bist du seine Tochter.»
«Schade», fauchte Nina.
«Patrick ist dein Vater, aber er ist anders als die meisten Menschen. Er besitzt nicht die Fähigkeit, starke Bindungen oder emotionale Beziehungen zu vielen verschiedenen Menschen einzugehen, so wie du oder ich das können. Normalerweise können Leute wie er sich nur auf eine einzige Beziehung konzentrieren – erst war das Cathy, und dann warst du es, auch wenn das eine ganze Weile gedauert hat.»
«Was meinst du mit ‹Leute wie er›?»
«Ich will versuchen, das zu erklären. Hast du schon mal vom Asperger-Syndrom gehört?»
Nina zog fragend die Stirn kraus.
«Man kann es als eine schwächere Variante des Autismus betrachten, die sich in erster Linie im Verhalten äußert. Meiner Ansicht nach ist es durchaus möglich, dass dein Vater ein Asperger-Syndrom hat.»
Sprachlos sah Nina sie an.
«Ich bin zwar keine Expertin auf diesem Gebiet», fuhr Ella fort, «aber ich habe dir doch erzählt, dass meine Tochter Carly als Sonderpädagogin arbeitet. Nachdem sie vor ein paar Jahren zum ersten Mal vom Asperger-Syndrom erfahren hatte, hat sie mir erzählt, dass sie dabei immer an deinen Vater denken muss. Seine Verlegenheit, wenn er mit anderen Menschen zusammen ist, seine Unfähigkeit, soziale Interaktionen zu verstehen, sein starrer Tagesablauf und so weiter. Ich habe mit deiner Mutter darüber gesprochen, und daraufhin hat sie sich etwas in das Thema eingelesen. Sie meint auch, dass das durchaus möglich ist.»
«Mein Vater ist Autist, und niemand hat mir das gesagt?»
«Nein, nein, das ist etwas ganz anderes. Es ist eher eine … eine Beeinträchtigung des Verhaltens, wenn du so willst. Dein Vater ist absolut in der Lage, ein mehr oder weniger normales Leben zu führen. Aber er unterscheidet sich eben von anderen: Er kann nur begrenzt Gefühle und persönliche Bindungen erleben – etwas, was für die meisten von uns doch selbstverständlich ist. Wahrscheinlich weißt du selbst, dass Patrick alles in Schwarz und Weiß einteilt, und sobald ein Problem auftaucht, versucht er, auf logischem Wege eine Lösung zu finden.»
«Dann war ich also ein
Problem
?», fragte Nina eisig. Sie war völlig verunsichert. Wie konnte es sein, dass sie bisher nichts davon gewusst hatte?
«Nein, natürlich nicht – aber Patrick hatte keine Ahnung, wie sehr ein Neugeborenes das Leben verändert, und er konnte nicht verstehen, dass jede junge Mutter anders auf die neue Situation reagiert.»
«Ich kann dir nicht folgen.»
«Also – du weißt ja, dass Lakeview damals noch sehr klein war, und da war es kein Geheimnis, dass deine Mutter nach deiner Geburt … nun, dass sie ein bisschen Mühe hatte. Vielleicht hat sie dir davon schon mal erzählt?» Als Nina den Kopf schüttelte, sprach Ella weiter: «Es war eigentlich gar nicht so schlimm, eben so wie in den meisten Fällen, und normalerweise regelt sich das nach einer Weile von selbst, oder man nimmt eben die richtigen Medikamente. Leider hat dein Vater das nicht verstanden. Auch wenn er immer ein Eigenbrötler war, hat er deine Mutter doch innig geliebt. Ich glaube übrigens, er liebt sie immer noch. Als du dann zur Welt gekommen bist … wie gesagt, für Cathy war die Zeit nach der Geburt schwieriger als erwartet, und damit kam er nicht klar.»
«Hatte sie eine Depression oder so was?»
Ella nickte. «Genau. Das ist ja nichts Ungewöhnliches, es ist ganz normal, aber dein
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