Glücksklee
Ohren, bis er schließlich ihr Gesicht in beide Hände nahm.
«Nein, ich möchte das hier nicht zerstören», erklärte Charlie. «Ich glaube, diese Beziehung zwischen uns beiden ist etwas Ungewöhnliches, etwas Kostbares, und ich möchte ihr eine Chance geben. Ich möchte ihr Zeit lassen, damit sie sich entwickeln kann. Und wenn es wirklich dazu kommt, soll es etwas Besonderes sein.»
Ruth wusste noch, dass sie damals Angst gehabt hatte, sie hätte ihn mit ihrem Überfall zu sehr gedrängt, aber ihre Sorge war unbegründet gewesen. Als Nächstes hatte Charlie sie nämlich ganz offiziell zum Essen eingeladen. Seine behutsame, fast altmodische Vorgehensweise überraschte sie und bewirkte, dass sie ihn erst recht wollte. Ja, sie waren schon Monate zusammen, bevor sie endlich miteinander schliefen.
Sie erinnerte sich an das erste Mal, wie er ihr gesagt hatte, dass er sie liebe, und wie zärtlich und liebevoll er gewesen war. Es war wie im Film gewesen, und sie wusste noch, dass sie damals das Gefühl gehabt hatte, eine Rolle zu spielen. Charlie kannte ihre Träume von einer Filmkarriere, er wusste, wie gerne sie die Fernseh-Soaps hinter sich lassen wollte und wie sie sich danach sehnte, ganz nach oben zu gelangen.
Eines Abends dann, nachdem die Dreharbeiten für die Soap für den Tag abgeschlossen waren, war Charlie nach Dublin gekommen. Er hatte einen ganz besonderen Abend für sie organisiert und ein Zimmer im Shelbourne Hotel gebucht. Sie aßen zusammen, tanzten und tranken Sekt, und als sie sich spät am Abend auf ihr Zimmer zurückzogen, wartete eine weitere Überraschung auf Ruth. Ein Verlobungsring mit einem Diamanten.
Ruth erstarrte. Der Ring symbolisierte alles das, was sie nicht wollte. Wenn sie Charlie heiratete, würde sie in Irland, in Lakeview, hängenbleiben. Kein Hollywood, kein Glamour, keine Filmpremieren. Sie war doch zum Star geboren, nicht zur Gelegenheitsschauspielerin und Ehefrau eines Kleinstädters.
Ganz egal, wie gern sie diesen Kleinstädter mochte.
Als Charlie sich auf ein Knie niederließ, unterbrach Ruth ihn. Sie wollte gar nicht hören, was er sagen würde.
«Lass das. Du weißt doch, dass ich das nicht will.»
Verletzt und verwirrt starrte Charlie sie an. Ruth sagte sich im Stillen, sie sei eine Idiotin, sie liebe ihn doch und würde nie einen Besseren finden. Doch sie musste ihn abweisen, um ihrer beider willen, sie musste dafür sorgen, dass er die Worte nicht aussprach.
Von plötzlicher Panik erfasst, stürzte Ruth zur Tür und verließ fluchtartig das Hotelzimmer. Sie kehrte nicht zurück. Zu Hause fragte sie sich, ob Charlie sie jemals ernst genommen hatte, wenn sie ihm von ihren Plänen erzählt hatte. Hatte er, ähnlich wie die irische Film- und Fernsehwelt, geglaubt, sie mache sich nur etwas vor und Hollywood sei nur ein Wunschtraum? Aber warum wollte er ihr jede Chance nehmen, diesen Traum zu verwirklichen, indem er ihr einen Antrag machte? Dass Charlie mit nach LA kam, stand gar nicht zur Debatte: Er hatte seine Verpflichtungen in Lakeview. Ruth hatte immer gedacht, sie seien stillschweigend übereingekommen, dass ihre gemeinsame Zeit irgendwann enden würde.
An jenem Abend in Dublin sah Ruth Charlie zum letzten Mal. Eine Woche später besorgte sie sich ein Flugticket nach Los Angeles und beschloss, niemals zurückzuschauen.
Aus den Augen, aus dem Sinn.
Als Ruth erneut auf ihre Armbanduhr schaute, bemerkte sie, dass inzwischen fast fünf Minuten vergangen waren. Jetzt musste das Ergebnis zu sehen sein.
Zögernd ging sie auf den Teststreifen zu, blieb dann wieder stehen, als hätte er plötzlich Zähne bekommen und würde nach ihr schnappen, wenn sie ihm zu nahe käme. Als sie nur noch einen Schritt entfernt war, schloss sie die Augen und machte diesen letzten Schritt blind. Sie legte die Hände auf das kühle Keramikbecken und holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Dann wiederholte sie ein Mantra, das sie aus dem Yoga kannte. Sie sagte es sich immer wieder vor: Positiv oder negativ, das Leben geht weiter … Positiv oder negativ …
Langsam öffnete Ruth die Augen und betrachtete ihr Spiegelbild. Endlich senkte sie den Blick auf das Waschbecken und das weiße Plastikstäbchen darauf. Sie konzentrierte sich auf das kleine Fenster auf dem Stäbchen und schnappte nach Luft.
Ein kleines rosa Kreuz.
Sie war schwanger.
Minuten später griff Ruth nach einem Handtuch und wischte sich den Mund ab. So viel zu ihrem Yoga-Mantra. Kaum hatte sie das Zeichen gesehen und
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