Glückspfoten, Ahmed und die ganz große Kohle (German Edition)
so aus, als hätte er verstanden.
Ich hingegen verstand so gar nichts mehr. Kaum hatte ich mein 680-Werk nun ausgedruckt und mich zur Überarbeitung aufgerafft, musste ich feststellen, dass man das Ganze so keinesfalls lassen konnte. Denn auffallend war, dass der Anfang in einem völlig anderen Stil geschrieben war als das letzte Drittel des Buches. Nach längerem Nachdenken fiel mir auch ein, wie es dazu gekommen sein musste. Über die Monate hatte sich mein Schreibstil einfach weiterentwickelt. Vom reinen Erzählen hin zu mehr lebendigen Dialogen, mehr wörtlicher Rede, frecheren Einfällen und mehr Mut zur Fantasie, die mir diese pädagogische Fachkraft, Frau Herrisch-Kleinmeier, ja noch kürzlich mit aller Gewalt auszureden versucht hat.
Also, es ging kein Weg daran vorbei: UMSCHREIBEN!
Gedanklich musste ich mich also wieder in die Anfangszeit versetzen und dann probieren, meinen verbesserten Erzählstil auf den Beginn zu übertragen. Schnell fand ich heraus, dass Übera rbeiten anstrengender sein konnte als kreatives Tun. Mühselig nahm ich jeden Satz unter die Lupe, legte nahezu jedes Wort auf die berühmte Goldwaage und ehe ich mich versah, waren wieder drei Monate um.
Die ausgedruckten Manuskripte stapelten sich in meiner K üche und die Versorgung mit Schmier- oder Einkaufszetteln für die nächsten 200 Jahre war gesichert.
Eine Druckpatrone nach der anderen musste ich anschaffen , was tiefe Löcher in meine Sparbrötchenkasse riss. Aber irgendwann war der große Tag gekommen. Ich ließ mein Buch von einer „richtigen“ Druckerei drucken.
Zwei Wochen dauerte das unerträgliche, unendliche Warten – dann kam das gute Stück an. Ich konnte es kaum fassen.
Ein Buch in meinen Händen! Mein Buch!!!
Stolz hielt ich es in den Händen, es roch neu, brandneu. So können nur jungfräuliche Bücher riechen. Ich hatte es aus der Plastikverpackung befreit und war die ERSTE, die dieses Buch durchblätterte, drehte, anfasste und immer wieder drückte, wie ein kleines Kind, das man knuddelt. Dass so ein Buch einem so nah sein konnte…
Nun würde ich es meiner Mutter eröffnen und sie als erste Testleserin verpflichten – auch wenn sie mit ihren fast achtzig Jahren nicht unbedingt zur Zielgruppe der „Best-Middle-Ager-Women“ gehörte, die ich mir als Zielgruppe auserkoren hatte.
Kater Ahmed hingegen hatte ganz andere Ziele im Visier, die er mit schöner Regelmäßigkeit und zunehmender Häufigkeit aufsuchte: allen voran, der nachbarliche Garten der Familie Neumeier. Er war der ganze Stolz von Hausherrin Helene, der biestigen Zahnarztfrau ohne Strahlelächeln, und ihres noch immer in fremden Mündern herumwerkelnden Gatten, dem Dr. med. dent. Heinrich Neumeier persönlich.
Nachdem die Zahnarztgattin noch einmal den Kontakt zu mir gesucht hatte, leider war ich gerade unpässlich und konnte ihr nicht antworten, war sie eines schönen Tages wutentbrannt nach Hause gestürmt, um kurz später ihrem Ärger erneut Luft zu m achen.
„Ja, bitte?“, hörte ich meine Mutter sich melden, nachdem das Telefon auf höchster Lautstärke geklingelt hatte, was bis zu mir in den Keller gedrungen war.
Sie meldete sich seit Längerem schon nicht mehr mit Sellinger , denn es hatte einfach zu viele Enkeltrickbetrüger, Telefontarifberater, Kinder- und Tierschutz-Spendeneintreiber oder Verkünder wirklich großer Gewinnsummen gegeben, die allerdings erst nach Zahlung vierstelliger Beträge hätten überwiesen werden können (O-Ton: „Das sind internationale Bestimmungen, sonst kommen wir an den Millionengewinn nicht ran, der liegt nämlich in der Türkei, und da sind die Gebühren hoch…“).
Also war meine Mutter nach vielen Jahrzehnten vom gewoh nten „Sellinger“ zur „Frau Ja-bitte“ geworden.
Neue Zeiten, neue Namen. Man muss sich halt anpassen an veränderte Gegebenheiten, sonst geht man unter wie die Saurier.
Aus irgendeinem Grunde war sie an diesem Tag wohl auf die Lautsprecher-Taste gekommen, so dass ich problemlos alles mithören konnte.
„Neumeier hier. Aus der Nachbarschaft, die Frau von Zah narzt Neumeier.“
„Ja, bitte?“, meine Mutter neigt e noch nie zu überflüssigen fernmündlichen Ausbrüchen, sie holte die Leute lieber erst einmal aus der Reserve. In Spanien sind die Menschen übrigens – was das Telefonieren betrifft – ähnlich spröde gestrickt. Ein kurzes „Dígame!“ am Telefon genügt, übersetzt in etwa: „Rücken Sie erst einmal mit der Sprache raus, also
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