Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
feiern.
»Wieso?«,
fauchte sie mich an.
»Wer würde
schon wegen Doping morden?« Auch diesen Satz musste ich gegen den anschwellenden
Lärm wiederholen. Prompt nahmen uns zwei Mädchen ins Visier, auch wenn sie unmöglich
verstanden haben konnten, was ich gesagt hatte. »Es muss um mehr gehen«, fuhr ich
fort. »Um sehr viel mehr als ein bisschen Sportbetrug.«
»Doping
im großen Stil! Begreifen Sie das nicht?«
Wir schwiegen,
denn der frauenverstehende Holzfäller stand wieder an unserem Tisch, haufenweise
Knabberzeug in der Hand. Er bot uns KitKat und Lion an. »Nestlé ist zwar scheiße«,
sagte er, »aber die haben hier nichts anderes. Nun nehmt schon, wir gehören doch
zusammen.«
»Was läuft
hier eigentlich?«, fragte ich. »Besetzt ihr jetzt die Banken?«
»Am Ostermontag?
Hat doch keine auf.« Er beugte sich zu uns herab, um nicht schreien zu müssen. »War
bloß ’ne Demo heute, aber am 29., da geht’s rund. Ihr seid herzlich eingeladen.«
»Vielen
Dank, ich bin als Tourist hier.«
»Und woher?
Bei euch gibt es bestimmt auch eine Occupy-Gruppe.«
»Süddeutschland.
Heidelberg.«
»Dir gehört
aber nicht der Smart da draußen?« Väterlich schüttelte er den Kopf. »Ich meine,
so berauschend kam das nicht, als wir eben die Werbung für die Deutsche Bank sahen.«
»Soll heißen,
ihr habt den Wagen in seine Einzelteile zerlegt?«
»Nicht mein
Stil.«
»Oder die
Aufschrift zugesprüht?«
»Auch nicht.
Wir sind friedlich. Wollen die Leute überzeugen. Vergiss unseren Aktionstag nicht.
Da wird auch in Heidelberg was laufen.«
Damit ging
er. Auch die Journalistin stand auf. Sie tippte mit grellrotem Fingernagel auf die
Karte, die sie mir zugeschoben hatte. Ȇberlegen Sie es sich, Herr Koller. Nur bei
uns können Sie Ihre Informationen zu Geld machen. Wir wollen ja nicht, dass Sie
in einer Kühlkammer enden.«
»Besetzt
die Redaktionen!«, rief ich ihr hinterher. Einer der Guy-Fawkes-Typen signalisierte
mit erhobenem Daumen seine Zustimmung.
28
Blau.
Zwischen
den blinzelnden Lidern: blau. Nicht Meer, nicht Kornblumen, nicht Ultramarin, sondern
Kunststoffkampfbahnenblau. Das Rasenviereck der Hertha spielt grüne Insel. Ich bin
müde. Die Stimme unseres Guides entfernt sich immer weiter; sie erzählt von den
Anfängen, vom Grunewaldstadion, das platt gemacht wurde auf Geheiß des Führers.
Als ich unseren Guide Führer nannte, drohte er mir mit dem Finger. Nein, diesen
Namen führ er, obwohl Führer, nicht. Bloß Guide. Wa? Ich bin müde.
Ja, ich
bin müde, und deshalb gähne ich das ganze Olympiastadion weg. Spucke es gleich wieder
aus, schon wegen dem Guide, und sehe Rot. Rote Aschenkampfbahn. Jesse Owens dreht
staubige Aufwärmrunden. Der Weltrekordneger, den das Publikum bejubelt, sehr zur
Verwunderung eines Avery Brundage, der das Aussperren von Juden und Schwarzen doch
als völkerverbindendes Element des Sports betrachtet, als global olympischen Geist.
Olympischer Gruß und Deutscher Gruß, zum Verwechseln ähnlich. Und deshalb sind die
Deutschen die wahren Olympier, mit Medaillen im Überfluss, Nummer eins der Nationenwertung.
Fechtend trägt die Jüdin Helene Meyer dazu bei und im Eishockey der Halbjude Rudi
Ball. Jakob Bamberger, Sinto und Boxer, wird in Dachau gefoltert, Kollege Harbig
fällt an der Front.
So erzählt
es unser Guide. So ist es der Aschenbahn eingeschrieben, Rot auf Rot. Ich bin müde.
»He, Schlafmütze!«
Ich schrecke
hoch. Ein 14-jähriges Mädchen, Berliner Schülerin, packt mich an der Hand. Das Gesicht
kenne ich doch!
»Unser Auftritt,
Max!«
Katinkas
Oma. Ein Engelchen in Weiß und Goldgelb, derselbe entschlossene Blick wie 76 Jahre
später die Enkelin. Sie zerrt mich von meinem Tribünenplatz hoch, führt mich durch
die Reihen feixender Zuschauer zu den Treppen.
»Ich kann
das nicht«, sage ich. »Hab doch gar nicht trainiert!«
»So eine
Chance bekommt man nur einmal im Leben. Eine Olympiateilnahme, denk nur!«
Da hat sie
natürlich recht. Auch wenn ich so verdammt müde bin. Die Nacht ist angebrochen über
Berlin, die hell erleuchtete Nacht der Nazis. Flakscheinwerfer gehen in Stellung,
um Beethovens Freudentöne an den Himmel zu malen. Da, die Glocke! Es geht also los.
Wir haben die Rundbahn erreicht.
»Die Kampfbahn«,
verbessert mich die 14-jährige Großmutter.
Die Kampfbahn,
entschuldige. Vor uns wimmelt es. 3400 Kinder strömen durch das Marathontor auf
den Rasen, färben ihn weiß, unschuldig weiß, die Gören aus
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