Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
ich nach meinem Pilsglas und schüttete seinen Inhalt über meine rechte
Schulter. Treffer! Manne ließ ein überraschtes Grunzen hören und lockerte seinen
Griff. Zack!, bekam er einen Ellbogenstoß in den Magen, dass er zwei Meter zurücktaumelte.
Ich war frei, stellte das Glas ab und rückte meinen Adamsapfel zurecht.
»Muss das
sein?«, regte sich der Wirt auf. »Ihr zwei saut mir den ganzen Laden …«
»Verdammte
Scheiße!«, brüllte ich. »Noch ein Wort, und ich rufe die Polizei! Ihr seid wirklich
die Letzten in dieser Stadt! Sei froh, wenn ich dir nicht deine Kaschemme vollkotze.«
Der Grauhaarige
schwieg. Für den Augenblick sah eher mein Gegner so aus, als müsse er sich übergeben.
Gekrümmt torkelte er durch den Raum und vollführte Schluckbewegungen, dass sein
biertriefender Schnauzer zitterte.
»Los jetzt,
bemüh dich ein bisschen!«, herrschte ich den Wirt an und griff nach den beiden Ausdrucken.
»Erinnerst du dich an irgendetwas im Zusammenhang mit dem Mann hier?«
Er schüttelte
den Kopf.
»Und ihr?«
Auch den Gästen und dem Seehund hielt ich die Fotos hin. Achselzucken.
Okay, ich
hatte nichts anderes erwartet. Der Leuchtturm war für mich verbrannte Erde, so schief
das Bild auch sein mag. Ich steckte die Blätter wieder ein und ging.
31
Als ich endlich wieder mit Katinka
im Wald unterwegs war, herrschte gedrückte Stimmung. Sie erzählte, dass sie sich
eine neue Katze anschaffen wollten, aber nicht sofort. Erst wenn geklärt sei, wer
Nanuschka überfahren habe. Erst wenn diese ganze ekelhafte Geschichte überstanden
sei.
»Kann ich
verstehen«, sagte ich.
Wir drehten
unsere übliche Runde. Hoch und runter, über breite Forstwege und schmale Wurzelpfade.
Am Prinzensitz vorbei, über Münchel, Tanzplatz und wie die versteckten Orte zwischen
Ziegelhausen, Wilhelmsfeld und Schönau alle hießen. Mal fuhr ich ein Stück voraus,
mal musste ich mich um Anschluss bemühen. In den Wipfeln flatterten die Waldvögel
auf, ein Habicht zog still seine Kreise, zwei Eichhörnchen verfolgten sich. Es war
warm, aber unangenehm feucht; Regen hing in der Luft. Das typische Heidelberger
Mikroklima.
Ich fragte,
ob sie mit ihrer Familie noch einmal über ihre Olympiateilnahme gesprochen habe.
Nein, um dieses Thema hätten sie einen Bogen gemacht. Ein paar Bemerkungen ihres
Vaters zu München 1972, hin und wieder ein Seufzer ihrer Großmutter beim Gedanken
an Berlin. Katinka und Heiner waren nicht darauf eingegangen.
»Von Tietje
willst du ihnen nichts erzählen?«
»Auf keinen
Fall. Es reicht, wenn es uns belastet. Sollte ich tatsächlich auf den Start in London
verzichten, sage ich ihnen alles. Vorher nicht.«
»Und? Verzichtest
du?«
Keine Antwort.
Ich bremste,
weil ich einem großen, wassergefüllten Schlagloch auf meiner Seite ausweichen wollte.
Als ich wieder aufgeschlossen hatte, hörte ich sie sagen: »Kim hat die Quali.«
»Was? Kim
Starke hat die Olympia-Quali geschafft?«
»Am Sonntag
in Rotterdam. Eine 2:29. Genau wie ich und Birthe.«
»Ich glaub’s
nicht! Dann seid ihr ja wieder drei.«
»Noch«,
sagte sie bitter.
»Ist das
nun eine gute oder eine schlechte Nachricht?«
»Das wüsste
ich auch gern.«
»Na, komm!
Sieh es positiv: Ihr habt ein schlagkräftiges Team. Nach Romys Rückzug das Beste,
was euch passieren konnte.«
»Vielleicht.«
Ja, vielleicht.
Ich wusste selbst, dass meine Worte nicht als Aufmunterung taugten. Nicht bei dem
Druck, der auf Katinka lastete. Nicht, wenn man sich fragen musste, warum die eine
Konkurrentin plötzlich so stark war und die andere aus heiterem Himmel auf Olympia
verzichtete.
Zwei Läufer
kamen uns entgegen. Sie hatten ein flottes Tempo angeschlagen und grüßten Katinka
wie alte Bekannte.
»Freunde
von dir?«, fragte ich.
»Kenne sie
nicht. Aber sie anscheinend mich.«
»Apropos:
Wer ist eigentlich Simon?«
»Wieso?«
»Deine Oma
erwähnte den Namen an ihrem Geburtstag. Im Zusammenhang mit Olympia.«
»Mein Bruder.«
»Dein Bruder?
Von dem hast du noch nie erzählt.«
»Kann sein.«
»Ja und?
Was ist mit ihm? Läuft er auch?«
»Jetzt nicht
mehr.«
»Aha.«
Dabei blieb
es. Katinkas verschlossener Miene nach zu urteilen, handelte es sich bei ihrem Bruder
um das schwarze Schaf der Familie. Große Anlagen, noch größere Trägheit – so was
in der Art. Wahrscheinlich hatte er sich eine hübsche Freundin angelacht, anstatt
für Olympia zu trainieren, und nun war es an Katinka, die Ehre der Glücks zu retten.
Was
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