Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
gewusst, wie ich es Katinka beibringen
sollte.
Allerdings
währte die Freude nur kurz. Wie, um alles in der Welt, hatte Heiner es geschafft,
Moritz hierher zu bringen, während ich auf dem Weg zum Spielplatz war? Nun, die
Antwort fiel leicht: gar nicht! Es musste einen Komplizen geben. In den 60 Sekunden
zwischen meinem Abschied von Katinka und der Ankunft am Spielplatz konnte er den
Wagen unmöglich vorm Haus abgestellt haben. Erst recht nicht, wenn ihm Fiona die
ganze Zeit am Rockzipfel hing.
Ein Komplize
also. Aber wer?
Ich lehnte
mein Rad an den Zaun und beugte mich über das schlafende Kind. Während ich die Decke
vorsichtig zur Seite zog, um zu überprüfen, dass ihm niemand etwas getan oder in
den Wagen gelegt hatte, öffnete sich eine Haustür. Ich schreckte hoch. Katinka,
noch in Laufklamotten, kam auf mich zu.
»Was ist
los, Max? Hast du etwas vergessen?«
»Nö«, sagte
ich. Vergessen? Nichts. Aber auch keinen Schimmer, was ich ihr vorflunkern sollte.
»Bringst
du mir Moritz?«
»Genau.«
Ich wies die Straße abwärts. »Dein Mann hat mich drum gebeten. Er kommt gleich nach.
Vom Spielplatz. Mit Fiona.«
»Und wieso?«
Lächelnd sah sie in den Kinderwagen. »He, du Schlafmütze! Wieso lässt du dich von
Max herumkutschieren?«
»Weil …
wegen des Regens.«
»Es hat
doch aufgehört.«
»Ja. Jetzt.«
Sie deckte
Moritz wieder zu. »In jedem Fall vielen Dank.« Dann fiel ihr Blick auf mein Fahrrad.
»Hast du den Wagen nebenher geschoben? Bergauf?«
»Nee«, sagte
ich und holte Luft. »Das war so: Dein Mann rief mich an, als ich eben nach Hause
fahren wollte. Ob ich Moritz nicht … Und dann bin ich zu Fuß zum Spielplatz und
zu Fuß zurück.«
»Ach so.«
»Deshalb
ist mein Fahrrad jetzt hier.«
Sie nickte.
»Und Moritz
auch.«
»Schön.
Danke noch mal. Tschüs.«
Endlich
durfte ich los. Ich rollte mit geschlossenen Augen bergab. Alles war gut.
Alles war
gut.
Alles.
»Scheiß
Tag«, flüsterte ich und schlug die Augen auf.
32
Auch der folgende Tag versprach
keinerlei Besserung. Christine weckte mich, bevor sie zur Arbeit ging, um mich mit
verschiedenen Aufträgen zu piesacken, die ich sofort wieder vergaß. Irgendetwas
war mit der Spülmaschine, dann sollte ich einkaufen, aber was? – und ein Mensch
von den Stadtwerken hatte sich auch angekündigt. Ich sagte Ja und Nein und Dukannstmichmal
und steckte den Kopf unter das Kissen, wo ein Mann, der aussah wie Heiner Glück,
einen Kinderwagen mit einer toten Katze durch das Dunkel bugsierte.
War wohl
doch ein Bier zu viel gestern Abend.
Später kam
der Typ von den Stadtwerken, dem ich sagte, er solle die Spülmaschine reparieren,
aber komisch, die interessierte ihn gar nicht. Stattdessen fummelte er an unseren
Leitungen herum und moserte über den Kabelanschluss. Den müsse wohl ein Amateur
verlegt haben.
»Das war
der Liebhaber meiner Frau«, sagte ich. »Als Elektriker ein Amateur, als Liebhaber
ein Profi.«
Kaum zu
glauben, aber das fand er lustig. »Ich sach ja nur«, grinste er immer wieder. »Die
Kabel müssen stimmen. Weil, am Ende schneit’s in sämtlichen Programmen. Und Sie
wollen doch fernsehen, oder?«
»Logo. Freue
mich schon auf Olympia. Sommerspiele, ohne Schnee. Die gucke ich hoch und runter.«
Aber Sport
interessierte ihn genauso wenig wie die Spülmaschine. »Da holt man sich nur den
Tod. Haben Sie’s nicht gelesen? Letzte Woche ist schon wieder einer umgekippt beim
Laufen. Herzstillstand, einfach so!«
»Der soll
aber einen Grund gehabt haben. Fürs Umkippen, meine ich.«
»Ich sach
ja nur.«
»Schon klar.«
So quasselte
ich mich durch den Tag, handelte mir eine gesalzene Rechnung von den Stadtwerken
ein und spülte zur Strafe von Hand. Den Einkauf erledigte ich nach dem Mittagsschlaf.
Lauter Sachen, die meine Ex nicht mochte: Bohnen mit Speck, Zungenwurst, gelierte
Früchte, beim Türken Okraschoten und superscharfe Peperoni. Vor den Tiefkühlwaren
blieb ich eine Weile versonnen stehen. Wie schaffte man es eigentlich rein technisch,
einen Raum auf minus 110 Grad Celsius zu kühlen?
Der Supermarktangestellte,
den ich fragte, wusste es auch nicht.
Auf dem
Heimweg nieselte es. Ich ging den gestrigen Tag noch einmal in Gedanken durch und
kam zu dem Schluss, dass Heiner nichts mit der ganzen Sache zu tun hatte. Nichts
mit der Entführung und schon gar nichts mit den Ereignissen in Kienbaum und Berlin.
Um Moritz still und heimlich vorm Haus abzustellen, brauchte er einen Komplizen,
und wer
Weitere Kostenlose Bücher