Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
Verdammtes
Internet! Über kurz oder lang würde es uns Privatdetektive überflüssig machen. Es
war schneller als wir, gründlicher als wir und zuverlässiger. Gefeit gegen Wildschweinattacken
und wahrscheinlich auch bei minus 110 Grad noch funktionsfähig.
Okay, genug
gejammert! Was hatte ich? Broses Schwerpunkt innerhalb des Instituts wurde mit »Spieltheorie
und ihre kreative Umsetzung« angegeben, wenn ich die englischen Begriffe richtig
übersetzte. Im Netz grinste er übrigens genauso wie auf der Dartscheibe Tietjes.
Vermutlich hatte der die Seite einfach ausgedruckt und das Foto so zurechtgeschnitten,
dass es für seine Zwecke zu missbrauchen war. Brose musste ihm einen Anlass für
Hassgefühle gegeben haben. Aber welchen?
»Bist du
vielleicht auch bei Tietje eingestiegen?«, fragte ich mein Gegenüber im World Wide
Web.
Eine rhetorische
Frage, natürlich. Die sich jedoch auch direkt stellen ließ, denn unter dem Foto
war eine Telefonnummer angegeben: Broses Durchwahl im Institut.
Ich sah
auf die Uhr. Kurz nach fünf. Da hatten Leute wie er garantiert noch lange keinen
Feierabend. Und wenn, würde ich mich nach seiner Privatnummer erkundigen.
»Institut
für anwendungsoptimierte Stochastik«, meldete sich eine weibliche Stimme. »Was kann
ich für Sie tun?«
»Mich mit
Herrn Brose verbinden. Ist er da?«
»Tut mir
leid, Dr. Brose ist zurzeit auf Geschäftsreise in Asien.«
»Und wann
kommt er zurück?«
»Mitte nächster
Woche. Wie lautet denn Ihr Name, bitte?«
»Koller.
Kann ich ihn nicht irgendwie erreichen? Es ist sehr dringend, wissen Sie.«
»Sie können
ihm gern eine Mail schicken, Herr Koller. Ich werde ihm ausrichten, dass er sich
nach seiner Rückkehr mit Ihnen in Verbindung setzen soll. Worum geht es, wenn ich
fragen darf?«
»Um Herrn
Tietje.«
»Wie schreibt
man das?«
Ich buchstabierte
ihr den Namen. Sie versprach, Dr. Brose von meinem Anruf in Kenntnis zu setzen,
dankeschön, bitteschön, dann war das Gespräch beendet. Ich klickte Broses Mailadresse
an. Aber was sollte ich ihm schreiben? Ihn provozieren, unter Druck setzen? Er konnte
Tietjes Mörder sein – oder ein harmloser Mathematiker, der auf irgendeine unblutige
Weise in das Geschehen verwickelt war. Geschäftsreise in Asien! Das sprach nicht
dafür, dass es Dringendes in Deutschland zu erledigen gab.
Am Ende
schrieb ich bloß einen einzigen Satz, in dem ich Brose ankündigte, mit ihm über
Tietje sprechen zu wollen. Keine Begründung, keine näheren Umstände, keine Angaben
zu meiner Person. Dann schickte ich die Nachricht ab.
Sollte der
Tag also doch noch versöhnlich enden?
Denkste.
Es lag nicht an Christine, die zwar über mein anarchistisches Einkaufsverhalten
schimpfte, sich aber umso mehr über ihren angeblichen Liebhaber und Leitungspfuscher
amüsierte, auch nicht am Regen oder der kaputten Spülmaschine. Sondern an Katinka
Glück.
Gegen sieben
rief mich Heiner an. »Ich habe es ihr erzählt«, sagte er.
»Was?«
»Die Sache
mit Moritz. Noch gestern Abend.«
»Wie bitte?«,
brüllte ich. »Bist du wahnsinnig? Warum habe ich die Polizisten beschworen, keinen
Wind von der Entführung zu machen? Du warst auch dafür!«
»Ich kann
meine Frau nicht anlügen.«
»Wieso nicht?
Ist doch das Einfachste der Welt.«
Christine
stand hinter mir und schaute skeptisch. Natürlich ahnte sie nicht, was das Einfachste
der Welt war, aber meine Telefonierlautstärke gefiel ihr nicht.
Und mir
gefiel verdammt noch mal nicht, dass Heiner gequatscht hatte! Das stank doch zum
Himmel! Offenbar wollte der Kerl wirklich nicht, dass seine Frau bei Olympia startete!
»Vielleicht
ist es besser, du kommst kurz vorbei«, fuhr er fort. »Sie ist nicht gut drauf.«
»Ach was!
Ist sie nicht? Das wundert mich jetzt aber.«
»Ich wäre
dir dankbar, wenn du kämst«, sagte er ruhig. »Hör dir vorher noch ihr Interview
auf SWR 4 an. Es ist für halb acht angekündigt.«
»Mal sehen,
verdammt.« Ich legte auf.
»Probleme?«,
fragte Christine.
»Nö. Bloß
Heimlichtuerei, Rücksichtnahme um jeden Preis, schlechtes Gewissen und Geständnisse
zur falschen Zeit. Man nennt es Ehe.«
»Du musst
es ja wissen.«
Ja, ich
wusste es. War selbst mal verheiratet gewesen und lebte rätselhafterweise schon
wieder mit der Frau, von der ich mich zu scheiden vergessen hatte, zusammen. Nur
um mir solche Kommentare einzubrocken. Du musst es ja wissen! Wütend schaltete ich
das Radio an. Schlimme Ansager, noch schlimmere Musik. Tütelü,
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