Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
Deshalb blieb ich den folgenden Tag zu Hause, lümmelte zwischen Bett
und Sofa herum und tat, als hätte ich zu viel Whisky gesoffen. Was wahrscheinlich
auch der Fall war. Immerhin hatten Heiner und ich noch eine ganze Weile zusammengesessen,
um über dies und jenes zu quatschen. Über Katinka. Über ihre Familie. Über ihren
Bruder.
Gegen Mitternacht
war die Flasche Bunnahabhain leer, und ich stürzte mich mit Todesverachtung hinab
in das tintenschwarze Neckartal. Anstatt jedoch gegen den nächstbesten Laternenpfahl
zu rauschen, traf ich wider Erwarten heil zu Hause ein. Nicht eben nüchtern, aber
heil. So leicht kam ich also nicht um meine Entschuldigung herum.
»Heute kein
Training?«, fragte Christine am Nachmittag.
Nein, heute
keins. Vielleicht nie wieder. War ja auch nicht nötig. Katinka hatte ihren Startverzicht
erklärt oder zumindest in den Raum gestellt, nun würden die Katzentöter und Kidnapper
wohl Ruhe geben. Tietje? Der hatte ein halbseidenes Ding gedreht und war auf die
Schnauze gefallen. Warum und wieso – Schwamm drüber. Nicht mal die Fischers standen
mir noch auf den Zehen. Weder der Heidelberger noch der aus Berlin.
»Ich bin
krank«, sagte ich zu meiner Ex. »Man sieht es mir zwar nicht an, aber ich bin krank.«
»Wusste
ich’s doch: Auch Männer haben ihre Tage.«
Der nächste
Termin, der anstand, war Eichelscheids großartige Filialeröffnung in der Bahnstadt.
So eine mit Luftballons und Hostessen und Prosecco vorm Mittagessen. Erst erklärte
ich mich mannhaft zur Teilnahme bereit, dann moserte ich, es gebe Wichtigeres als
diese Reklameveranstaltung, zum Beispiel die Übertragung eines Drittligaspiels im
Rhein-Neckar-Fernsehen – bis mich Christine unter Gewaltanwendung aus der Wohnung
jagte.
»Jammerlappen!«,
schimpfte sie. »Heulsuse! Weichei!«
Lustlos
machte sich das Weichei auf in den Heidelberger Westen. In einen Stadtteil, der
noch gar nicht existierte. Was alle Welt Bahnstadt nannte, bestand bis dato im Wesentlichen
aus Baugruben und Erdmoränen, zwischen denen Kräne emporragten und ab und zu ein
Betonskelett. Abgemildert wurde die Kriegskulisse durch fröhliche Computervisionen,
die als Schautafeln um das zukünftige Viertel liefen. Geschäfte, Stadthäuser, Kindergärten,
Gewerbe, ein Campus: alles da, alles geplant. Und Eichelscheids Arbeitgeber spielte
den Pionier, der dem zu besiedelnden Land das erste Pflänzchen schenkte.
Aber wie
in der Fabel vom Hasen und dem Igel blieb die Deutsche Bank nicht lange allein.
Vorm Eingang zur neuen Filiale verteilten meine Freunde von Occupy Flugblätter.
»Die nächste
Finanzkrise, hier beginnt sie«, posaunten sie. »Boykottiert das Investmentgeschäft
der Deutschen Bank!«
Sie waren
zu zweit. Ein junger Mann, eine Frau. Der Junge wollte mich in ein Gespräch verwickeln,
doch ich sagte, ich sei in Berlin auf einer Occupy-Fortbildung gewesen und daher
umfassend im Bilde. Auch über ihren Aktionstag.
»Cool«,
sagte er und drückte mir sein Flugblatt in die Hand. »Dann hauen wir auf den Putz!«
»Außerdem
bin ich nur wegen der Häppchen da.«
»Selbst
Häppchen können eine Finanzkrise auslösen«, zwinkerte er mir zu.
Drinnen
traf ich eine ganze Reihe von Bekannten. Gleich als Ersten den Oberbürgermeister,
der sich aber seltsamerweise nicht an mich zu erinnern schien. Oder er wagte nicht,
seine hochdotierten Gesprächspartner im Stich zu lassen, um mich zu begrüßen. Dafür
bestätigte mir Harboths kräftiger Händedruck meine Zugehörigkeit zu den besseren
Kreisen, auch Dr. Eichelscheid, obwohl heftig smalltalkend, nickte mir aus der Ferne
zu. Der junge Steffen, Harboths Assi für besondere Anlässe, war da, und schließlich
entdeckte ich sogar den breiten Rücken von Kommissar Fischer. Entdecken ist vielleicht
das falsche Wort; ich rumpelte gegen ihn, als ich versuchte, einer Bankergattin
mit Rekordimplantaten auszuweichen.
»Schade,
dass ich keine Handschellen dabei habe«, knurrte Fischer. »Ich würde Sie sofort
anketten lassen.«
»Wenn du
zum Kapital gehst, vergiss die Handschellen nicht«, konterte ich. »Hat schon der
alte Nietzsche gesagt.«
»Sie kennen
Nietzsche, Sie Schlaumeier?«
»Klar. 1936
Goldmedaille in Philosophie. Wussten Sie nicht? Aber jetzt mal im Ernst: Wo sind
Ihre Leute?«
»Ich bin
privat hier«, behauptete er und wich von diesem Standpunkt auch nicht ab, als ich
erklärte, dass es für Polizisten keine Privatheit gebe, niemals und nirgendwo, schon
gar nicht in einer Bankfiliale.
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