Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
irgendeinem Winkel des Hauses, drückte
sich an uns vorbei und ging auf Katinka zu. Er roch nach Schweiß. »Hier«, sagte
er und reichte ihr einen Pappkarton. »Das ist alles. Mehr habe ich nicht.«
Zögernd
öffnete Katinka den Karton. Er enthielt eine Reihe von Ampullen mit einer durchsichtigen
Flüssigkeit. Sie nahm eine in die Hand und las die Aufschrift.
»Wirklich,
Andreas«, brummte Brose, »du enttäuschst mich.«
»Mach damit,
was du magst«, sagte Karst heiser. »Schmeiß das Zeug weg, bring es zur Polizei,
egal. Und noch mal: Es tut mir leid.«
»Ich kapiere
gar nichts«, entgegnete Katinka. »Was ist das hier?«
»Die zwei
haben keine Ahnung, Andreas«, sagte Brose. »Null! Wenn du dich nicht so anstellen
würdest …«
»Du hältst
dein Maul!«, schrie Karst und riss den Revolver, den er immer noch in der Rechten
trug, in die Höhe. Wieder zeigte der Lauf der Waffe genau auf Broses Stirn. Der
verdrehte gelangweilt die Augen – aber nur kurz. Denn plötzlich holte Karst aus
und schlug ihm mit dem Revolver gegen die Schläfe. Brose stürzte zu Boden. Ich griff
nach Karsts rechtem Arm, bekam die Waffe aber nicht zu packen. Im nächsten Moment
blickte ich selbst in die kleine runde Öffnung des Laufs.
»Finger
weg!«, herrschte mich der Arzt mit heiserer Stimme an. »Ich habe nichts zu verlieren.
Mach das nicht noch einmal!«
»Ganz ruhig«,
sagte ich. »Ganz ruhig, Herr Karst. Kein Grund zur Aufregung.«
»Mann, Andreas«,
kam es stöhnend von unten. Brose saß auf den Steinfliesen und betastete seinen Kopf.
Ein kleines Rinnsal Blut kroch unter seinen Locken hervor. »Warum tust du das? Mann,
Mann, Mann … Was da kaputt gehen kann!«
»Er hat
mich gezwungen, euch das Zeug zu geben«, keuchte Karst, den Arm senkend. Die Worte
sprudelten jetzt regelrecht aus seinem Mund hervor. Als habe der Schlag gegen Broses
Schläfe eine Blockade gelöst. »Er ist an allem schuld, Katinka. Ich weiß, dass ich
Scheiße gebaut habe, und ihr Frauen seid die Leidtragenden. Aber dass deine Familie
bedroht wird und dass jemand sterben muss, das habe ich nicht gewollt. Bitte glaub
mir das!«
Verwirrt
legte Katinka die Ampulle in den Karton zurück. »Was ist nun mit deiner Tochter?
Was haben sie mit Alice angestellt?«
Brose ließ
ein meckerndes Lachen hören. Karst schüttelte verständnislos den Kopf. »Nichts ist
mit ihr. Wie kommst du darauf?«
»Siehst
du?«, rief sein Kompagnon und leckte sich das Blut von den Fingern. »Geballtes Nichtwissen!
Keinen Schimmer von irgendwas.«
»Dann helfen
Sie uns auf die Sprünge«, sagte ich. »Bitte, Herr Karst, geben Sie mir endlich die
Waffe und packen Sie aus. Sie wollen doch reinen Tisch machen, stimmt’s?«
Karst wich
einen Schritt zurück. Dabei stieß er gegen einen der beiden Stühle, die sich in
dem Raum befanden. Er packte sie nacheinander mit der Linken und schob sie uns zu.
»Hinsetzen!«, befahl er. »Setzt euch, dann erzähle ich euch alles.«
Wir taten
ihm den Gefallen. Brose seufzte und grinste abwechselnd, während er zu der Holzkiste
robbte, um sich dagegen zu lehnen. Mit einem Taschentuch versuchte er, den Blutfluss
zu stoppen.
»Ben und
ich hatten über Jahre nur losen Kontakt«, begann Karst. Er ging zur Kommode hinüber
und stützte sich auf sie. »Letzten Sommer aber rief er plötzlich an. Mehrmals. Wir
trafen uns, dabei erzählte er mir von seiner Arbeit. Von der Sportwettensoftware,
die er entwickelt hatte und die er immer weiter perfektionierte. Er fragte mich,
ob ich sie nicht einmal testen wolle, das System sei bombensicher. Und als ich es
tat, funktionierte es wirklich reibungslos.«
»Wohl wahr«,
ließ sich Brose hören. »Ich kann jeden nur einladen, es auszuprobieren. Gewinn garantiert!«
»Weil ich
klamm war«, fuhr Karst fort, »ließ ich mich auf die Sache ein. Erst setzte ich kleinere
Beträge, dann immer größere. Für das Haus hatte ich mich über beide Ohren verschuldet,
und Miriams Auszug bedeutete den Offenbarungseid für mich. Ich musste etwas tun,
und Ben wusste das.«
»Aber woher?«,
fragte ich. »Zumindest Ihre privaten Probleme haben Sie ja erfolgreich verheimlicht.«
»Ich denke,
das hat dieser Privatdetektiv herausbekommen. Wahrscheinlich hat er ganz gezielt
nach einer Schwachstelle in meinem Leben gesucht. Bens Sportwetten waren die Rettung
für mich – dachte ich.« Mit dem Handrücken fuhr er sich über die Augen. »Das Problem
bei der Software ist, dass man sehr schnell reagieren muss. Die Zeitfenster,
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