Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
gar nicht erst auf. Mein Körper weiß inzwischen, was ihm guttut
und was nicht. Der denkt schon an die nächste Trainingseinheit.«
Stimmt,
an die sollte man immer denken. Auch als Radbegleiter. Gierig griff ich nach dem
Pils, das die Bedienung eben brachte.
»Meistens
trinke ich ja alkoholfreies Bier«, fuhr sie fort. »Aber wenn wir schon mal im Norden
sind … Prost, Max!«
Das ließ
ich mir nicht zweimal sagen. Vielleicht erlebte ich die nächste Trainingseinheit
gar nicht. Vom Stalker gemeuchelt, von brauenlosen Läufern im Heidesand verbuddelt.
Da wäre es doch Unsinn, jetzt auf etwas verzichten zu wollen. Ich stieß mit ihr
an.
»Übrigens«,
sagte sie und wischte sich etwas Schaum von den Lippen, »habe ich dir schon gesagt,
wo der Leistungstest in zwei Wochen stattfinden wird?«
»Welcher
Test? Seit ich durch das Abi gerasselt bin, habe ich mir geschworen, nie wieder
…«
»Nicht du«,
unterbrach sie mich heftig. »Ich! Der DLV verlangt einen Kontrollwettkampf vor London
als Beleg, dass die Form stimmt. Am Ostersamstag nehmen wir an den sächsischen Halbmarathon-Meisterschaften
in Leipzig teil. Die Strecke ist flach und schnell, außerdem kommt so ziemlich alles,
was Rang und Namen hat in der Frauenszene.«
»Und welche
Zeit willst du da laufen?«
»Mal sehen.
Eine 1:12 vielleicht. Für eine Bestzeit wird es nicht reichen, ich bin ja im Formaufbau.«
Warum drehte sie ihr Glas plötzlich so hektisch zwischen den Fingern? »Macht es
dir was aus, wenn du nicht dabei bist?«
»In Leipzig?
Nö, wieso?«
Im selben
Moment merkte ich, dass meine Antwort von beeindruckender Dämlichkeit war. Sie stimmte
nämlich nicht. Klar lag ich am liebsten zu Hause vor der Glotze oder schaute in
meiner Lieblingskneipe vorbei – aber Zeuge werden, wie Katinka Glück der deutschen
Laufelite bewies, dass sie zurecht vor der Olympianominierung stand, war genauso
verlockend. Mindestens! Ich hielt mitten in der Bewegung, die meiner Antwort folgen
sollte, inne – Bierglas zum Mund, was sonst – und räusperte mich umständlich.
Bierglas
wieder absetzen.
»Das heißt
… interessieren würd’s mich schon. Rein sportlich und so.«
Stille.
Sie war nicht bloß einfach dämlich gewesen, meine ursprüngliche Antwort, sondern
doppelt dämlich. Denn Katinka hatte ein Ja erwartet. Einen Protest: Na, hör mal,
und ob ich dabei sein will! Gerade jetzt, wo wir uns aneinander gewöhnt haben!
Sie hob
den Blick nicht, als sie sagte: »Wäre auch interessant für dich. Nur ist es so,
dass meine Oma in der Nähe wohnt … also nicht in der Nähe, aber im Harz, und sie
feiert ihren Neunzigsten an dem Wochenende.«
Pause.
Ich wartete.
Oma? Harz? Tut mir leid, aber wenn ihr Schweigen bedeutete, dass ich den Gedankengang
zu Ende führen sollte, dann überschätzte sie mich.
»Deshalb
machen wir ein Familienwochenende draus«, half sie mir. »Heiner und die Kinder begleiten
mich. Nach dem Wettkampf fahren wir von Leipzig aus direkt in den Harz.«
»Soll heißen,
du brauchst keinen Aufpasser.«
»Harboth
und Eichelscheid meinten, wenn Heiner dabei ist, musst du nicht auch noch … Ich
finde es ja blöd, aber jetzt, wo sie sehen, wie aufwendig die ganze Sache ist, versuchen
sie plötzlich zu sparen. Bei Kienbaum hieß es auch schon, es ginge ohne dich, aber
ich habe darauf bestanden.« Sie warf mir einen kurzen Seitenblick zu. »Sorry.«
»Schon gut.
Ist doch nicht deine Schuld. Wird der Lauf irgendwo übertragen?«
Sie verdrehte
die Augen. »Wie viele Laufveranstaltungen werden überhaupt im Fernsehen gebracht?«
Da hatte
sie auch wieder recht. In der Folge mieden wir das Thema Leipzig, sprachen stattdessen
über ihre Oma, die mit ihren 90 Jahren noch immer tagtäglich ihre Gymnastik machte
oder hoch zum Brocken spazierte. Fit wie ein Turnschuh! Die also auch.
Ich bestellte
noch ein Bier für mich.
Als wir
uns im Hotelflur eine gute Nacht wünschten, war ich nicht mehr ganz nüchtern. Wie
bitte, vorm Frühstück wollte sie raus, die Irre? Eine kurze Einheit nur – ja, ich
weiß, was bei dir kurz heißt, Katinka. Ciao, bis morgen.
Danke, du
auch.
Auf der
Schwelle zu meinem Zimmer stehend, wartete ich, bis ich drüben Katinkas Tür ins
Schloss fallen hörte. Und als sie fiel, wartete ich immer noch. Worauf? Schwer zu
sagen. Auf ein Geräusch von drüben wahrscheinlich. Einen Atemzug, ein Räuspern,
ein Stühlerücken. Aber so angestrengt ich auch lauschte, ich hörte nichts. Komisch,
bei mir knarrten die Dielen schon, wenn man
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