Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
scheitern.
Ich war
eben dabei, die Gegenstände um mich herum in Fluchthelfer und Hindernisse zu sortieren,
als sich die Tür der Kneipe öffnete. Und herein stolzierte: ein Sahneschnittchen.
Eine Chilischote. Eine Berliner Sexbombe. Tock, tock, tock machten ihre Absätze
auf dem knarzigen Dielenboden. Der komplette Leuchtturm vergaß zu atmen.
Okay, in
meinen Augen – den Augen eines verklemmten Provinzdjangos – handelte es sich bei
der Braut bloß um eine waghalsig aufgebrezelte Großstadttussi mit Brustspoilern,
Wackelhüfte und schwarzen Netzstrümpfen von H & M. Großzügig aufgetragenes Make-up
reduzierte die Mimik auf ein Minimum. Dafür aber: platinblonde Föhnlocken im Löwenstyling,
Solariumsbräune, Lippenstift in silbermetallic. Und dort, wo ihr knisterndes Oberteil
der Fülle des Busens nicht mehr Herr wurde, öffnete sich ein Dekolleté, dessen verheißungsvolle
Tiefe … na, stellt euch einfach den Marianengraben vor, Leute, dann liegt ihr richtig.
Für einen
Moment hatte das Weib meine volle Aufmerksamkeit. So ganz kann ja niemand aus seiner
Männerhaut. Dann aber fiel mein Blick auf die beiden Helden neben mir. Dass ihre
Augäpfel noch in den Höhlen steckten, war ein Wunder. In Gedanken und Blicken tauchten
die zwei gerade ab in die Tiefseeschlucht zwischen den Brustansätzen der Dame. Dorthin,
wo das Ewigweibliche lockte oder wenigstens ein falscher Brillant im Bauchnabel.
Und bis
sie von dort wieder aufgetaucht waren, würde es dauern!
Ohne nachzudenken,
schnellte ich aus meinem Stuhl hoch, stieß den Tisch gegen den Seehund und stürzte
an ihm vorbei Richtung Ausgang. Um nicht aus der Kurve getragen zu werden, stützte
ich mich kurz an der prallen Oberweite der Dame ab – viel Natur war da wirklich
nicht – und griff im nächsten Moment nach der Türklinke. Hinter mir klirrte, krachte,
schepperte und fluchte es. Tür auf, raus mit dir, Max, und sofort nach rechts, zum
Auto.
Im Rennen
zog ich den Schlüssel aus der Tasche und drückte auf die Entriegelung. In einiger
Entfernung blinkte es. Passanten wichen mir aus, riefen mir Unverständliches nach.
Ich sah mich nicht um. Erst als ich den Wagen erreicht hatte, wagte ich einen Blick
über die Schulter. Der Lange storchte mit fuchtelnden Armen in meine Richtung. Doch
mein Vorsprung war beruhigend. Ich sprang ins Auto, betätigte die Zündung und brauste
davon.
Wie gut,
dass ich voll im Lauftraining war!
19
Ich fuhr nicht weit. Um zwei Häuserblocks
herum, dann eine längere Gerade entlang, an deren Ende ich einen Taxistand entdeckte.
Genau das, was ich brauchte.
Ein Parkplatz
war schnell gefunden. Aber jetzt! Durchatmen, Max. Bring etwas Ordnung in deine
Gedanken. Ist das, was du vorhast, auch wirklich das Richtige? Wo steckt Tietje?
Willst du die Durchsuchung seiner Wohnung nicht lieber verschieben? Was, wenn er
plötzlich auftaucht? Wenn er dir schon längst vor der Haustür auflauert? Mit einer
Knarre vielleicht oder einem Totschläger?
»Denk kein
Blech«, knurrte ich halblaut und stieg aus. So rasch würde sich Tietje nicht in
der Landsberger Allee blicken lassen. Wenn er seinen Schlüsselbund vermisste, würde
er zurück in den Leuchtturm fahren. Erfuhr er unterwegs von meiner Flucht, wohl
auch. Schließlich ahnte er nicht, dass ich seinen Namen und seine Adresse kannte.
Okay, er musste damit rechnen, dass ich sie irgendwann herausbekam. Irgendwann –
aber nicht in der nächsten halben Stunde. Der günstigste Zeitpunkt, meinem Kollegen
zu Hause einen Besuch abzustatten, war jetzt. Je früher, desto besser.
»Zur Landsberger
Allee«, sagte ich dem Taxifahrer. »Und wenn Sie Lust auf einen neuen Geschwindigkeitsrekord
haben – von mir aus gern.«
»Sonst geht’s
gut?«, lautete die Antwort.
Typisch,
da erwischte ich schon mal einen italienisch aussehenden Fahrer, und dann benahm
er sich wie ein deutscher Paragrafenreiter!
Während
er mich nach Friedrichshain kutschierte, ging es weiter mit dem Hin- und Herwälzen
der Argumente. Wohin fuhr Tietje in diesem Moment? Warum brauchte er einen Vorsprung?
Um jemanden zu warnen? Möglich. Sagen wir: eine Person, mit der er nicht zusammen
gesehen werden wollte. Achtung, dieser Koller aus Heidelberg ist uns auf der Spur;
besser, du tauchst eine Weile unter. Oder es ging doch um Material, das er verschwinden
lassen wollte.
Wie auch
immer, das Blatt hatte sich gewendet. Nun war ich es, der die weiteren Aktionen
bestimmte. Der Provinzler! Geschah ihm recht, dem
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