Glueckstreffer - Roman
aus Idaho, der sich »die Inkarnation von Onkel Rico« nannte, behauptete: »Das wahre Glück ist jener magische Zeitpunkt in dem Kinostreifen Napoleon Dynamite, wenn der Film endlich Sinn zu machen beginnt.«
Niemand überraschte die große Anzahl von Zuschriften unter dem Stichwort »Familie«. Sophie lehnte sie in Bausch und Bogen ab. Als Grund nannte sie die Tatsache, dass sie selbst keine mehr habe, Familien zeitlich begrenzte Institutionen seien und damit ihren Kriterien nicht entsprächen. Ellen machte Sophies rigorose Haltung in diesem Punkt offensichtlich betroffen, sie sagte jedoch kein Wort.
»Schätze, stundenlange Massagen zählen nicht, oder?«, erkundigte sich Randy zu fortgeschrittener Stunde und hielt dabei eine Frühlingsrolle in der einen und einen Brief in der anderen Hand.
»Hängt davon ab, welche Person einen massiert«, witzelte Justin.
Evalynn, die neben ihrem Mann saß, gab ihm einen Klaps auf den Arm. »Werd nicht frech! Wenn dir jemand Massagen verpasst, dann bin das ausschließlich ich.«
»Nein«, warf Sophie ein. »Massagen zählen definitiv nicht.«
Randys Augen leuchteten. »Wie süß«, sagte er affektiert. »Können wir den Gutschein trotzdem behalten? Ist von einem Wellnesscenter in Seattle. Die haben dir eine Gratisbehandlung mit heißen Steinen geschickt.«
Sophie lächelte und streckte die Hand nach dem Coupon aus. »Ist zwar nicht unbedingt Glück, aber dennoch etwas, das man genießen kann.«
Etwas später stolperte Justin über die Zuschrift einer Texanerin, deren Inhalt er für akzeptabel hielt. »Hier, Ev«, sagte er und reichte ihr das Foto eines Kindes in Brieftaschenformat. »Das könnte dir gefallen. Die Absenderin schreibt, Glück sei die Liebe und der Stolz, die man für die eigenen Kinder empfindet.«
Evalynn stieg prompt die Röte ins Gesicht. Als sie aufstand, entdeckte Sophie, dass eine Vene an ihrer Halsseite angeschwollen war und pochte. Die Freundin beugte sich tief zu ihrem Mann hinunter und zischte ihm etwas zu, das nur er verstehen konnte. Dann drehte sie sich um und verließ den Raum. Kurz darauf fiel die Ladentür heftig hinter ihr ins Schloss.
In der Küche herrschte betretenes Schweigen.
»Was war das denn?«, fragte Garrett vorsichtig.
»Das ist kompliziert«, erwiderte Justin, der sich sichtlich über sich selbst ärgerte. »Ich hätte das nicht vor euch allen sagen dürfen. Sie ist nicht böse auf das, was ich gesagt habe, sondern wütend, weil ihr es gehört habt. Sie möchte nicht, dass es jemand weiß.«
»Was weiß?«
Justin wirkte verlegen. »Ich weiß nicht, ob ich das sagen soll. Evalynn will, dass wir es für uns behalten. Ich finde allerdings, dass Sorgen im Kreis der Familie besprochen werden sollten.«
Sophies Blick wanderte zwischen Justin und Garrett hin und her. Dann sah sie Ellen an, die drei Briefe in der Hand hielt und aussah, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen.
»Ich weiß es bereits«, gestand Ellen leise. »Und zwar schon seit einer Weile.«
»Ich hab mich schon gewundert«, murmelte Justin. »Aber ich wollte nicht fragen, für den Fall, dass du keine Ahnung hättest. Sie hat’s dir also erzählt?«
Ellen schüttelte den Kopf. »Nicht direkt. Aber sie hat hin und wieder Andeutungen gemacht. Daraus habe ich meine Schlüsse gezogen.«
» Was weißt du?«, fragte Sophie dazwischen. »Worum geht es überhaupt?« Obwohl sie ahnte, was Evalynn bedrückte, wollte sie erst von Justin oder Ellen Gewissheit erhalten.
Justin sah Ellen an und nickte ihr zu, zum Zeichen dafür, dass sie die anderen einweihen durfte.
Ellen schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. »Ev ist … Sie ist sich nicht sicher, ob sie überhaupt Mutter werden will. Da sie bereits im vierten Monat schwanger ist, ist das für sie eine sehr beklemmende Situation.«
Justin nickte. »Ist nicht einfach zurzeit. Ich dachte, mit der Schwangerschaft würde sich ihre Einstellung ändern. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es ist schlimmer geworden.«
»Hat sie Angst vor der Geburt selbst, oder …?«, erkundigte sich Randy.
»Nein, das ist es nicht«, wehrte Ellen ab.
»Was denn dann?«, wollte Randy wissen.
Im ersten Moment sagte niemand ein Wort. Dann straffte Ellen die Schultern und versuchte ein Lächeln. »Seit sie Evalynn zu mir gebracht haben, glaubt sie, ihre Mutter habe sie im Stich gelassen – sie nie geliebt. Ich habe ihr immer wieder gesagt, dass ihre Mutter das, was sie getan hat, aus Liebe getan hat. Es hat nichts
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