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Gluehende Dunkelheit

Gluehende Dunkelheit

Titel: Gluehende Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Carriger
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möglicherweise zuerst tat.
    Der Wolf nahm wieder aufrechte Haltung ein und schüttelte sich wie ein nasser Hund. Er hatte langes, seidig glänzendes Fell von wechselnder Farbe, die in den dunklen Schatten der Zelle schwer zu bestimmen war. Mit mächtigen bebenden Muskeln duckte er sich, um erneut anzugreifen, und Geifer troff ihm in silbrigen Fäden auf einer Seite aus dem Maul.
    Er sprang mit einem weiteren jähen Satz auf sie zu und zuckte dann, kurz bevor er sie erreichte, mitten im Sprung zurück.
    Diesmal hätte er sie sicherlich getötet. Alexia hegte keinen Zweifel daran, dass seine Fänge geradewegs auf ihren Hals gezielt hatten. Dass sie ihm das erste Mal hatte ausweichen können, war pures Glück gewesen. Sie war nicht im Geringsten dazu in der Lage, es mit einem gewöhnlichen Wolf aufzunehmen, geschweige denn mit einem übernatürlichen. Zugegeben, sie war eine eingefleischte Spaziergängerin und saß bei der Jagd anständig im Sattel, aber niemand hätte Miss Tarabotti je als sportlich bezeichnet.
    In einem offensichtlichen Zustand der Verwirrung schlich die große Bestie im Halbkreis um Alexia herum, erst zu der einen Seite der Zelle, dann zu der anderen, und schnupperte witternd in der Luft. Der Wolf gab ein eigenartiges, frustriertes kleines Winseln von sich und zog sich langsam von ihr zurück. In tiefer geistiger Bedrängnis schwang sein buschiger Kopf hin und her. Das Gelbe seiner Augen glühte schwach in dem dunklen Raum. Alexia glaubte, dass der Ausdruck darin eher Besorgnis als Hunger zeigte.
    Voller Erstaunen beobachtete Miss Tarabotti mehrere Minuten lang den inneren Kampf des Werwolfs, der unablässig auf und ab schritt. Ihre Atempause währte allerdings nicht lange. Bald wurde, ungeachtet dessen, was auch immer ihn zurückhielt, der Drang anzugreifen übermächtig. Das Maul des Wolfs öffnete sich zu einem mordgierigen Zähnefletschen, und er spannte die Muskeln, um sie erneut anzuspringen.
    Diesmal war Alexia verflixt sicher, dass sie nicht ungeschoren davonkommen würde. Noch nie zuvor hatte sie so viele scharfe Zähne auf einmal gesehen.
    Der Werwolf griff an.
    Miss Tarabotti konnte seine Gestalt nun deutlicher erkennen, da sich ihre Augen an das düstere Dämmerlicht in der Zelle gewöhnt hatten. Und doch war alles, was sie geistig erfassen konnte, nur eine große zottelige Masse mörderischer Raserei, die ihr an die Kehle sprang. Verzweifelt wollte sie fortlaufen, doch es gab nichts, wohin sie fliehen konnte.
    Geistesgegenwärtig trat Alexia dem angreifenden Ungeheuer einen Schritt entgegen und ein wenig zur Seite. In derselben Bewegung beugte sie sich so weit zur Seite, wie ihr Korsett es zuließ, warf sich gegen die Rippen der Bestie und schleuderte sie aus der Bahn. Es war ein großer Wolf, doch Alexia Tarabotti war ebenfalls kein Fliegengewicht, und es gelang ihr, ihn gerade genug aus dem Gleichgewicht zu bringen. In einem Gewirr aus Röcken und Tournürengestänge und Fell und Fangzähnen stürzten sie gemeinsam zu Boden.
    Alexia schlang Arme und Beine – soweit das ihr textiler Unterbau zuließ – und alles andere, was sie zur Verfügung hatte, um den riesigen pelzigen Körper und hielt sich so fest wie nur menschenmöglich.
    Mit einem tiefen Gefühl der Erleichterung spürte sie, wie das Fell verschwand und sich seine Knochen unter ihren Fingerspitzen neu formten. Das Geräusch von reißenden Muskeln, Sehnen und Knorpeln war grauenvoll und klang, als würde man eine Kuh zerteilen, doch wie es sich anfühlte, war sogar noch schlimmer: Fell verschwand bei ihrer Berührung und zog sich von jeder Stelle zurück, an der ihre Körper Kontakt hatten, und der Knochen veränderte sich unter seinem Fleisch, als wäre er flüssig geworden, ein Gefühl, das sie noch monatelang verfolgen würde. Doch schließlich hielt sie nur noch warme, menschliche Haut und feste, schlanke Muskeln umschlungen.
    Mit einem langen, tiefen, zittrigen Atemzug holte Miss Tarabotti Luft, und allein der Geruch ließ keinen Zweifel daran, wer es war, den sie da umschlungen hielt. Denn der Geruch war ganz freie Felder und Wiesen und Nachtluft. Unwillkürlich glitten ihre Hände vor Erleichterung über seine Haut. Dann wurde ihr schlagartig noch etwas anderes bewusst.
    »Also wirklich, Lord Maccon, Sie sind ja splitterfasernackt!«, rief Alexia. Sie war über jede Vernunft hinaus entsetzt über diese letzte in der langen Folge von Unwürdigkeiten, die sie in der Zeitspanne eines einzigen qualvollen Abends hatte

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