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Gluehende Dunkelheit

Gluehende Dunkelheit

Titel: Gluehende Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Carriger
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Ein Grinsen breitete sich langsam und träge auf seinem wächsernen Antlitz aus, wie Öl auf einer Wasserfläche. In seinem Mund steckten statt Zähne kantige weiße Würfel. Alexia war sich sicher, dass dieses Grinsen sie noch jahrelang in ihren Träumen verfolgen würde.
    Der Wachsmann verschwand vom Türfenster, vermutlich, um sich wieder auf den Kutschbock zu schwingen, denn im nächsten Augenblick tat die Kutsche einen Satz und fuhr an. Sie ratterte und ächzte über das Kopfsteinpflaster der Londoner Straßen auf einen Ort zu, von dem Alexia ziemlich überzeugt war, dass sie kein Verlangen danach hatte, ihn aufzusuchen.
    Miss Tarabotti packte den Türgriff und rüttelte erfolglos daran. Sie stemmte sich hart mit der Schulter gegen die Tür und legte ihr ganzes Gewicht in den Stoß. Nichts.
    »Na, na, meine Liebe«, sagte der Mann im Schatten. »Kein Grund, so ein Theater zu veranstalten.« Sein Gesicht blieb verborgen, obwohl er sich zu ihr nach vorn beugte. Ein eigenartiger Geruch lag in der Luft, wie süßes Terpentin. Es war beileibe nicht angenehm.
    Miss Tarabotti nieste.
    »Alles, was wir wissen wollen, ist, wer Sie sind und warum Sie das Westminster-Haus aufgesucht haben. Das wird überhaupt nicht wehtun.«
    Auf einmal stürzte er sich auf sie. In einer Hand hielt er ein feuchtes Taschentuch – die augenscheinliche Quelle des unangenehmen Geruchs.
    Alexia war nicht die Art Frau, die ständig hysterische Anfälle hatte. Allerdings war sie auch niemand, der ruhig blieb, wenn die Umstände eine gewisse Lautstärke erforderten. Sie schrie, schrill und anhaltend. Es war ein hohes Kreischen, wie es nur verängstigte Frauen oder sehr gute Schauspielerinnen hervorbringen können.
    Der Schrei drang aus der Mietdroschke, als stünden ihm keine Wände im Weg, zerriss die stille Londoner Nacht und schnitt durch das Geklapper von Pferdehufen auf Stein. Er ließ die Bleiglasfenster der im Schlummer liegenden Wohnhäuser erzittern. Er veranlasste mehr als nur eine streunende Katze dazu, sich gebührend beeindruckt umzublicken.
    Gleichzeitig stemmte sich Miss Tarabotti erneut gegen die verschlossene Tür. Da sie ihren Sonnenschirm nicht zur Hand hatte, war ein anständiger Tritt mit dem spitzen Absatz ihre beste Verteidigung. Sie trug ihre allerliebsten Spazierstiefel. Sie hatten bezaubernde, wie eine Sanduhr geformte Absätze aus Holz, die Alexia ein bisschen zu groß machten, doch sie waren so hübsch, dass sie ihr das Gefühl gaben, beinahe elegant zu sein. Sie waren auch das spitzeste Paar Schuhe, das sie besaß, und ihre Mutter hielt sie für geradezu schockierend französisch.
    Alexia zielte mit dem harten Absatz auf die Kniescheibe des Schattenmannes.
    »Das ist doch völlig unnötig!«, meinte er, dem Tritt ausweichend.
    Miss Tarabotti war sich nicht sicher, ob er gegen den Tritt oder gegen den Schrei protestierte, deshalb teilte sie beides ein zweites Mal aus – mit Zinsen. Er schien Schwierigkeiten zu haben, ihre unzähligen Lagen aus Röcken und Rüschen zu überwinden, die in der engen Fahrgastkabine eine recht wirkungsvolle Barriere bildeten. Unglücklicherweise wurde Alexias Verteidigung dadurch ebenso behindert. Sie lehnte sich zurück und trat noch einmal zu. Ihre Röcke raschelten laut.
    Doch trotz Miss Tarabottis Bemühungen näherte sich das Taschentuch des Schattenmannes unaufhaltsam ihrem Gesicht. Sie drehte den Kopf zur Seite. Die süßen Dämpfe waren beinahe überwältigend. Ihre Augen begannen zu tränen.
    Die Zeit schien sich zu verlangsamen. Alexia fragte sich, was sie getan hatte, um das Schicksal so zu verärgern, dass es ihr gleich zwei derartige Angreifer in der kurzen Zeitspanne einer einzigen Woche schickte.
    Gerade als sie glaubte, dass es keine Hoffnung mehr gab und sie den Dämpfen erliegen müsste, erklang ein unerwartetes Geräusch. Eines, das, wie Miss Tarabotti vermutete, von diesem neuartigen Konzept der Evolution dazu geschaffen war, die Menschheit bis ins Mark zu erschüttern. Es war ein gewaltiges, brüllendes, knurrendes Heulen. Es ließ die Luft und das Blut und das Fleisch erzittern, dass einem kalte Schauer über den Rücken liefen. Es war der Schrei eines Raubtiers, der nur ein einziges Mal ausgestoßen wurde, und zwar in dem entscheidenden Moment, wenn die Beute zwar noch nicht erlegt, aber der Todesbiss garantiert war.
    In diesem speziellen Fall folgte darauf ein lauter, dumpfer Schlag, als etwas die Vorderfront der Kutsche hart genug traf, um die beiden, die im

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