Gluehende Dunkelheit
Hisselpenny überschüttete sie mit noch mehr Fragen. »Was genau ist geschehen? Lass keine Einzelheiten aus! Wie hat es sich zugetragen?«
»Nun, es war eine kalte Nacht, und ein letztes Luftschiff schwebte am Himmel. Floote half mir, mich durch die Hintertür hinauszuschleichen, und …«
Ivy stöhnte auf. »Alexia!«
»Du sagtest doch, ich solle keine Einzelheiten auslassen.«
Ivy bedachte sie mit einem mürrischen Blick.
Miss Tarabotti lächelte. »Nachdem ich die Vampirkönigin besucht hatte, versuchte jemand, mich zu entführen.«
Ivy riss die Augen weit auf. »Was?!«
Alexia reichte ihr einen Teller mit Mürbegebäck, um die Spannung hinauszuzögern. Hektisch winkte Miss Hisselpenny ab. »Alexia, nur erzähl doch schon!«
Endlich hatte Miss Tarabotti Mitleid mit ihrer Freundin. »Zwei Männer versuchten, mich in einer falschen Mietkutsche zu entführen, als ich das Vampirhaus verließ. Es war wirklich ziemlich beängstigend.«
Ivy blieb stumm und lauschte wie gebannt, während Alexia die Einzelheiten der versuchten Entführung schilderte. Schließlich sagte Miss Hisselpenny: »Alexia, du solltest das der Polizei melden!«
Miss Tarabotti schenkte sich selbst und ihr mehr Himbeersaft aus einem Dekanter aus geschliffenem Glas ein. »Lord Maccon ist die Polizei. Oder besser gesagt, BURs Form davon. Er behält mich im Auge, für den Fall, dass sie es noch einmal versuchen.«
Diese Neuigkeit faszinierte Miss Hisselpenny sogar noch mehr. »Tut er das? Wirklich? Wo?«
Alexia führte sie zum Fenster, und sie sahen auf die Straße hinaus. Ein Mann lehnte lässig an einem Gaslaternenmast an der Ecke, die Augen fest auf die Vordertür der Loontwills geheftet. Er sah ein wenig zwielichtig aus mit dem langen, beigen Staubmantel, den er trug, und dem äußerst lächerlichen breitkrempigen John-Bull-Zylinder; solche Hüte bevorzugten amerikanische Glücksspieler.
»Und da hältst du meine Hüte für schlecht!« Ivy kicherte.
»Ja, du hast recht«, stimmte Miss Tarabotti inbrünstig zu. »Aber was soll man machen? Werwölfen mangelt es einfach an Geschmack.«
»Der sieht gar nicht aus wie Lord Maccon«, meinte Miss Hisselpenny und versuchte, die Gesichtszüge unter dem Hut zu erkennen. Sie war dem Earl erst ein paar Mal begegnet, aber dennoch … »Viel zu klein.«
»Das kommt davon, weil er es nicht ist. Der ist heute Morgen, bevor ich aufstand, gegangen. Das ist sein Beta, Professor Lyall. Alles in allem ein überlegenes Geschöpf, was Manieren anbelangt. Ihm zufolge begab sich Lord Maccon nach Hause, um sich auszuruhen.« Miss Tarabottis Tonfall verriet, dass sie vom Earl eigentlich erwartet hatte, ihr das persönlich zu sagen. »Nun ja, wir hatten eine erlebnisreiche Nacht.«
Ivy zog die schweren Samtvorhänge wieder zu, so dass sie das Fenster wieder verhüllten, und drehte sich zu ihrer Freundin um. »Ja, so scheint es, mit all der Küsserei! Über die du mir, darauf muss ich dich hinweisen, immer noch nicht viel erzählt hast. Du musst mir einfach davon berichten! Wie war es?« Miss Hisselpenny fand die meisten Bücher in der Bibliothek von Alexias Vater beschämend. Sie hielt sich die Ohren zu und summte, wann immer Miss Tarabotti ihren Papa auch nur erwähnte, doch sie summte nie so laut, dass sie nicht mehr verstehen konnte, was gesagt wurde. Aber nun, da ihre Freundin über Erfahrungen aus erster Hand verfügte, war sie schlicht und ergreifend zu neugierig, um Verlegenheit vorzutäuschen.
»Er hat mich einfach gepackt. Ich glaube, ich redete ihm zu viel.«
Ivy gab einen angemessen schockiert klingenden Laut der Missbilligung ob einer solch ungeziemlichen Handlungsweise von sich.
»Und bevor ich mich versah …« Alexia wedelte mit der Hand in der Luft und brach ab.
»Bitte fahr fort«, ermutigte Miss Hisselpenny sie, die Augen vor eifriger Neugierde weit aufgerissen.
»… brachte er seine Zunge ins Spiel. Es gab mir ein sehr warmes und schwindliges Gefühl, ich weiß nicht genau, wie ich es beschreiben soll.« Miss Tarabotti zierte sich ein wenig, Ivy von dieser Erfahrung zu erzählen. Nicht weil es ein unschickliches Thema war, sondern weil sie zum Teil wünschte, das Gefühl für sich zu behalten.
Als sie an diesem Morgen erwacht war, hatte sie sich gefragt, ob irgendetwas davon tatsächlich passiert war. Erst als sie einen großen, bissförmigen blauen Fleck tief an ihrem Hals entdeckte, akzeptierte sie, dass die Ereignisse der vorangegangenen Nacht Wirklichkeit und kein quälender
Weitere Kostenlose Bücher