Glut der Gefuehle - Roman
»Kommen Sie, Mylady, setzen wir uns ins andere Zimmer – dort haben Sie’s viel bequemer. Da liegt auch die Stickerei, an der Sie bei Ihrem letzten Besuch gearbeitet haben. Vielleicht möchten Sie sich wieder damit befassen.«
Fast unmerklich nickte Lady Margrave.
Einen Arm unter dem Ellbogen der älteren Dame, führte India sie zur Tür des Salons, dann drehte sie sich zu Margrave um. »Dürfte ich kurz mit dir reden?«
»Natürlich.« Während sie seiner Mutter im Nebenraum einen Platz anbot, wanderte er im Schlafzimmer umher. An diesem Abend würde India noch einige Kohlen brauchen – und morgen früh frisches Bettzeug. Außerdem sollte er ihr neuen Lesestoff bringen. Während er in einem historischen Roman blätterte, kehrte sie zurück,
und er legte das Buch auf den Nachttisch. »Du siehst gut aus, meine Liebe.«
Ohne Umschweife kam sie zur Sache. »Im Gegensatz zu deiner Mutter.«
»Oh... darüber willst du mit mir reden?«
»Mit diesen Opiaten benebelst du ihren Verstand. Und ich fürchte, du wirst ihr einen irreparablen Schaden zufügen, wenn du ihr keine Erholungspause gönnst.«
»Offensichtlich gilt das für dich nicht. Sei vorsichtig, India, es missfällt mir, wenn du mich herausforderst!«
Trotz der Sorge um seine Mutter durfte sie nicht wagen, seinen Unmut zu erregen. Sie schwieg, und er schenkte ihr ein dünnes Lächeln.
»Behalt deine Gedanken lieber für dich. Was Mama gut tut und was nicht, weiß ich selbst am besten. Geh jetzt und unterhalte sie eine Weile. Später bringe ich dir Kohlen. Und vielleicht arbeiten wir noch ein wenig an meinem neuen Gemälde. Da habe ich ein paar Ideen, die werden dich sicher begeistern.«
Mühsam zwang sie sich zu einer gleichmütigen Miene. Sie wusste, wie beglückt er wäre, würde sie ihr Entsetzen zeigen. Diese Genugtuung missgönnte sie ihm. Sie wartete, bis er die Suite verlassen und den Schlüssel im Schloss herumgedreht hatte.
Dann ging sie in den Nebenraum, wo Lady Margrave vor dem Kamin saß, ihren Stickrahmen in der Hand. Bisher hatte sie noch keinen einzigen Stich zustande gebracht. India kniete neben ihr nieder. So sanft wie nur möglich berührte sie den Arm der älteren Frau. »Soll ich ein bisschen sticken? Vielleicht, wenn Sie mir zuschauen |...«
Da wandte sich Lady Margrave zu ihr und starrte sie prüfend an. »Hast du den Verstand verloren, meine Liebe?
Wenn ich für uns beide denken muss, werden wir nicht viel erreichen.«
Verwirrt schnappte India nach Luft, und Ihre Ladyschaft lächelte schwach.
»Wie erfreulich, dass ich dich von meiner Geisteskrankheit überzeugt habe|... Mein Sohn glaubt daran, ohne jeden Zweifel. Aber ich dachte, du seiest eine strengere Kritikerin.«
»Nicht mir müssen Sie Sand in die Augen streuen, Mylady, sondern Ihrem Sohn. Und das ist Ihnen großartig gelungen.«
»Sicher war es nützlich, dass du meinetwegen mit ihm gesprochen und dich für mich eingesetzt hast. Daran ist er nicht gewöhnt.«
Was Lady Margrave damit meinte, verstand India nicht. »Niemals habe ich ein schlechtes Wort über Sie verlauten lassen, Mylady«, beteuerte sie und stand auf.
»Das weiß ich. So etwas würde auch gar nicht zu deinem Charakter passen.« Lady Margrave legte den Stickrahmen beiseite. »Solche Handarbeiten habe ich schon immer gehasst. Auf mich üben sie nicht die Wirkung aus, die man ihnen zuschreibt. Statt mich zu beruhigen, zerren sie an meinen Nerven.« Sie wies auf den Sessel, der ihrem gegenüberstand. »Geht es dir nicht auch so?«
»Nein, Mylady.« India nahm in dem Ohrensessel Platz und faltete die Hände im Schoß. »Wenn ich sticke, fällt es mir leichter, meine Gedanken zu ordnen.«
Wehmütig seufzte Ihre Ladyschaft. »So wenig haben wir gemein.«
Offenbar erwartete sie keine Antwort, und India schaute sie forschend an.
»Glaubst du, er belauscht uns?«, fragte die Countess und wandte sich zur Tür.
»Nein, sonst hätte ich Ihnen längst bedeutet, die Stimme zu senken. Vorhin hörte ich seine Schritte, die sich entfernten.« India sah, wie sich Lady Margraves schmale Schultern entspannten. »Auf welche Weise sind Sie dem Opium entronnen?«
»Indem ich die Speisen verstecke, die Allen mir serviert. Nur wenn er mir keine Wahl lässt, esse ich. Und dann zwinge ich mich zu erbrechen.«
India nickte. Auch sie hatte sich schon mehrmals übergeben, nachdem Margrave ihr bei einer Mahlzeit Gesellschaft geleistet hatte. Besorgt musterte sie die eingefallenen Wangen der Countess. »Nehmen Sie genug
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