Glut der Gefuehle - Roman
jeder Schmeichelei misstraute, kräuselte sie verächtlich die Lippen.
»Noch nie habe ich so gute Muffins gegessen.«
Schweigend wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu.
»Ich glaube, Ihre Ladyschaft weiß gar nicht zu schätzen, wie tüchtig Sie sind.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sonst würde sie eine Küchenhilfe für Sie einstellen, damit Sie nur noch Muffins backen können.« Genüsslich schluckte er einen Bissen hinunter. »In der Tat, eine Götterspeise.«
Da konnte sie ihre mürrische Miene nicht mehr beibehalten, und ihre Mundwinkel zuckten.
Ein Lächeln ist das sicher nicht, dachte South, aber immerhin ein viel versprechender Anfang. »Einfach köstlich«, lobte er.
»Ja, das Lieblingsgebäck Seiner Lordschaft«, erklärte sie und nahm ein weiteres Blech mit Muffins aus dem Herd. »Die habe ich oft für ihn gemacht, als er noch ein Junge war. Und ich dachte, sie werden ihm auch jetzt wieder schmecken.«
»Sicher weiß er Ihre Mühe zu würdigen.« Die Köchin schaute ihn skeptisch an. Offenbar teilte sie seine Ansicht nicht. »Und Lady Margrave? Was isst sie denn besonders gern?«
»Diese Suppe ist für Ihre Ladyschaft. In letzter Zeit nimmt sie kaum etwas anderes zu sich.«
Das hatte South bereits festgestellt. Wenn die Dienstboten auch selten den Mund aufmachten – ihre Arbeitsaufträge sprachen für sich. Wie er schon bald herausgefunden hatte, wurden die Tabletts, die Mrs Hoover vorbereitete, niemals in den Speisesaal gebracht, sondern zu den privaten Suiten im Ostflügel. Dort nahm sie der Earl entgegen, weil die Dienerschaft diesen Teil des Hauses nicht betreten durfte.
»Fühlt sich Ihre Ladyschaft nicht wohl?«, fragte South besorgt.
Vorsichtig sah sich Mrs Hoover um. »Ich fürchte, sie leidet wieder an ihrer Melancholie.«
»Hat sie öfter solche Anfälle?«
»Ja, seit dem Tod ihres Gemahls. Aber so schlimm wie jetzt war es noch nie...« Plötzlich presste sie die Lippen zusammen, als hätte sie schon zu viel gesagt.
South verspeiste seinen restlichen Muffin und rührte
wieder im Suppentopf. »Wird sie nicht von einem Arzt behandelt?«
Nur zögernd antwortete die Köchin: »Nein, der Earl sorgt für seine Mutter. Darauf besteht er.«
South beobachtete, wie sie Mehl auf ein Schneidebrett streute und einen Teig zu kneten begann. »Angeblich führt Melancholie zu Wahnvorstellungen. Das muss auch auf Lady Margrave zutreffen.«
Ohne aufzublicken, runzelte sie die Stirn. »Was für Wahnvorstellungen?«
»Nun, der Entschluss, so viele Dienstboten auf einmal zu entlassen...«
»Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen. Jedenfalls waren die Kündigungen die Idee Seiner Lordschaft.«
Dann senkte sie den Kopf, und er ahnte, er würde ihr keine weiteren Informationen entlocken. Deutlich genug las er die Angst in ihren Augen. Zum ersten Mal erkannte er, dass sich die Dienerschaft von Marlhaven nicht bloß um ihr eigenes Schicksal sorgte, sondern auch um das der Herrin.
Seit Southertons Ankunft hatte noch niemand über einen Hausgast gesprochen. Wussten die Leute nichts über India Parrs Anwesenheit?
Dass Margrave sie versteckte, beunruhigte Southerton. Oder hielt sie sich etwa nicht mehr im Haus auf?
Lady Margrave ging mit ihrem Sohn zu Indias Suite. Den Kopf erhoben, bewegte sie sich mit majestätischer Anmut. An den Schläfen zogen sich graue Strähnen durch ihr blondes Haar, das sie zu einer Zopfkrone hochgesteckt hatte. Diese Silberfäden versteckte sie nicht unter einem Turban oder einem Spitzenhäubchen, weil sie es vorzog, die Zeichen ihres Alters mit stiller Würde zu präsentieren.
Als Mutter und Sohn das Schlafzimmer betraten, erhob sich India aus ihrem Schaukelstuhl und schwankte ein wenig. »Guten Abend, Lady Margrave... Mylord...«
»Heute Abend möchte meine Mutter deine Gesellschaft genießen, Dini«, erklärte Margrave. »Deshalb habe ich ihr erlaubt, dich zu besuchen. Bist du damit einverstanden?«
»Oh ja«, antwortete India, »darüber freue ich mich sehr.«
Ermutigend lächelte Margrave seine Mutter an. »Siehst du’s? Habe ich nicht gesagt, sie würde dich willkommen heißen?« Zu India gewandt, fuhr er fort: »Sie fürchtet, du seiest ihr immer noch böse und würdest sie dafür verantwortlich machen, dass du hier bist.«
»Nein, Mylord, ich war ihr niemals böse«, beteuerte India. Niemals hätte sie gewagt, einen solchen Vorwurf laut auszusprechen. Außerdem hätte sie dann Margrave beschuldigen müssen, und sie wollte sich seinen Zorn nicht zuziehen.
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