Glut der Gefuehle - Roman
überrascht, als Sie mich daraufhin einluden.«
»Welch ein raffinierter Schachzug, Doobin in meine Garderobe zu schicken|... Ohne den Jungen wären Sie jetzt nicht hier, Mylord.«
»Genau das habe ich mir auch schon gedacht.« Unbewusst bewegte er seine Kinnmuskeln und erinnerte sie an den Fausthieb, den sie ihm versetzt hatte. »Es tut nicht mehr weh«, versicherte er.
»Zu meinem tiefsten Bedauern sieht man einen blauen Fleck.«
»Aber keine Narbe.« Lächelnd berührte er den Mundwinkel, den die falschen Diamanten aufgeritzt hatten. »Eigentlich schade... Meine Schwester meint, eine Narbe an dieser Stelle würde meine gesellschaftliche Position verbessern.«
»Hoffentlich glauben Sie ihr nicht.«
»Nein, ganz sicher nicht. Immerhin ist sie meine Schwester, und sie erfindet die bizarrsten Geschichten, um mich zu ärgern.«
»Hätte sie behauptet, eine Narbe würde Ihre Gesichtszüge ausdrucksstärker machen, müssten Sie ihr vielleicht zustimmen. Aber Ihre gesellschaftliche Position? Daran zweifle ich. Außerdem würde die Narbe nicht von einem
Degen stammen, sondern von der Faust einer Frau. Und das würde Ihrem Ansehen wenig nützen. Insbesondere, nachdem Sie um diesen Schlag gebeten haben.«
»Also würde eine Narbe die Ausdruckskraft meiner Züge fördern?«, fragte er, ohne auf ihre restlichen Bemerkungen einzugehen. »Meinen Sie das ernst?«
»Oh ja«, bestätigte sie, und Southerton lachte.
»Beinahe könnte man glauben, es würde Ihnen Freude bereiten, mich etwas schwerer zu verletzen.«
»Viel besser würde es mir gefallen, Ihre Schwester kennen zu lernen.«
Da erlosch Southertons Lächeln, und er straffte die Schultern. Seine veränderte Haltung entging ihr nicht.
Erst jetzt wurde India bewusst, wie sehnsüchtig ihre Stimme geklungen hatte. Natürlich würde sie seine Schwester niemals kennen lernen, das war ausgeschlossen. »Verzeihen Sie mir«, bat sie leise, »ich habe gedankenlos gesprochen, und ich wollte keineswegs...«
Ein Geräusch vor der Tür unterbrach India. Dann wurde ein Servierwagen ins Zimmer gerollt. Die Dienerin entfernte den Nähkorb und deckte den Tisch. Offenbar hatte die junge Frau inzwischen ihre fünf Sinne beisammen, denn sie arbeitete schnell und umsichtig. Währenddessen erschien ein Lakai mit zwei Stühlen, die er an den Tisch rückte.
Mit einer knappen Geste entließ India die Dienstboten, und sie zogen sich zurück.
Angenehm überrascht, musterte Southerton die Mahlzeit – eine klare Suppe, einen würzig duftenden Lammbraten, frisches knuspriges Brot.
»Greifen Sie zu«, bat India. »Ich esse sehr oft am späten Abend, das bringt mein Beruf mit sich. Normalerweise speise ich allerdings allein.«
Las sie seine Gedanken? Womit hatte er sich verraten? Eine weniger scharfsinnige Frau hätte vermutet, seine Verblüffung würde nur diesem aufwändigen Dinner gelten. Aber India Parr wollte seine Zweifel an ihrer Behauptung zerstreuen, sie würde keine Besuche in ihrem Haus empfangen. Immerhin hatte ihr Personal in kurzer Zeit eine wohl duftende Mahlzeit vorbereitet, so als wäre es daran gewöhnt.
Southerton kostete die Suppe, die perfekt gewürzt war. Anscheinend beschäftigte Miss Parr eine ausgezeichnete Köchin. »Finden Sie es derart wichtig, mich davon zu überzeugen, ich sei die Ausnahme von Ihrer Regel?«, fragte er, weil er es vorzog, nicht um den heißen Brei herumzureden.
Indias Löffel erstarrte über dem Suppenteller. »Wie direkt Sie sind, Mylord...«
»Nur wenn ich es für angemessen halte.«
Sie nickte und führte den Löffel zum Mund. Zu ihrer Verblüffung konnte sie mühelos schlucken. Sie hatte befürchtet, dass ihr das unter dem prüfenden Blick seiner grauen Augen nicht gelänge. »Selbstverständlich möchte ich nicht leichtfertig erscheinen. Ich weiß, in welchem Ruf Schauspielerinnen stehen. Im Allgemeinen unterscheidet man uns kaum von Prostituierten.«
»Auch Sie sind sehr direkt, Miss Parr.«
»Wenn ich es für angemessen halte.« Mit Bravour imitierte sie seinen Tonfall und fand es sympathisch, wie humorvoll er den gutmütigen Spott akzeptierte.
»Allzu freundlich geht unsere Gesellschaft nicht mit unabhängigen Frauen um.«
»Je nachdem, worauf die Unabhängigkeit beruht. Witwen genießen gewisse Freiheiten.«
Da musste Southerton ihr zustimmen. In diesem Sommer
hatte er auf dem Landsitz der Battenburns seine Bekanntschaft mit Lady Powell erneuert. Ihrem wesentlich älteren Gemahl war Grace stets treu gewesen. Jetzt als
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