Glut der Gefuehle - Roman
Witwe benahm sie sich sehr diskret und wählte ihre Liebhaber sorgfältig aus. Sie verschwendete das Vermögen ihres verstorbenen Ehemanns nicht und befolgte die gesellschaftlichen Regeln, indem sie die Trauerzeit und Lord Powells Andenken respektierte. Und so wurden ihre Affären toleriert. Sollte irgendjemand ihren Lebenswandel öffentlich kritisieren, würden ihre Brüder ihn zum Duell fordern.
»Ja, ich verstehe, was Sie meinen«, sagte er.
»Die größten Freiheiten gesteht man den Kurtisanen zu«, fuhr India fort. »Aber sie sind Prostituierte – ganz egal, wie kultiviert sie sich geben.«
»Und Gouvernanten«, fügte South hinzu.
»Durchaus respektabel, jedoch nicht unbedingt respektiert. Eher bezahlte Gefährtinnen.«
Stimmt, dachte er. »Also akzeptieren Sie, wie die Gesellschaft Ihren Beruf einschätzt? Als Preis für Ihre Unabhängigkeit?«
»So ähnlich«, bestätigte sie milde. »Doch das bedeutet keineswegs, Sie müssten das ebenfalls so sehen. Wir werden einen viel angenehmeren gemeinsamen Abend erleben, wenn Sie von Anfang verstehen, dass er nicht in meinem Schlafzimmer enden wird. Natürlich haben Sie sich von meiner Einladung etwas anderes versprochen. Das weiß ich.«
»Ja«, gab er zu. »Aber dieses Dinner ist eine erfreuliche Entschädigung. Übrigens, die Consommé schmeckt ausgezeichnet.«
»Dann besitzen Sie wohl eher einen schlichten Geschmack.«
Lächelnd nickte er. »Wieso sind Sie Schauspielerin geworden?«
India seufzte leise. »Weil ich ein paar unerquickliche Erfahrungen als Gouvernante gesammelt habe.«
Darüber lachte er, so wie sie es offensichtlich bezweckt hatte. In einer anderen Situation würde sie ihm noch besser gefallen – wenn ihre Wangen vom Schlaf und von der Liebe gerötet wären und er an seiner nackten Schulter ihr weiches, seidiges helles Haar spüren könnte. Doch er wollte warten – und die Vorfreude auskosten.
Nun nahm India den Deckel von der Speiseplatte und servierte ihm ein Stück Lammbraten. So selbstverständlich würde seine Mutter seinen Vater bei Tisch nicht bedienen. Auf solche Gedanken käme sie gar nicht. Im Haushalt des Earls gab es genug Dienstboten, die lautlos für die Bedürfnisse der Herrschaften sorgten.
»Werden Sie Ihren Freunden erzählen, dass Sie heute Abend hier waren?«, fragte sie.
Natürlich nicht. Das würde er nur tun, wenn er Miss Parr nicht im Auftrag des Obersts besucht hätte. Die anderen Mitglieder des Kompass Klubs sollten keine Spekulationen anstellen. Zum Glück hatte Northam alle Hände voll zu tun, und South wünschte, es würde dabei bleiben. »Sollte ich meinen Freunden verraten, ich hätte bei der derzeit berühmtesten Londoner Dame diniert? Bei der Frau, die wir erst vor einer knappen Woche mit unserem unverschämten Benehmen gekränkt haben? Besser nicht. Sie würden mir ohnehin nicht glauben.«
»Oh, doch. Ich kenne Ihren Ruf, Viscount.«
»Als brillanten Denker.«
»Als Lebemann.«
»Wohl kaum.«
»Als Schürzenjäger.«
»Nein.«
»Als Wüstling?«
»Meine liebe Miss Parr, Ihre Spione sind schlecht informiert. Aber um beim Thema zu bleiben – sagen wir, ich bin ein Romantiker.«
»Wie Byron.«
»Um Himmels willen, nein!«, rief Southerton entsetzt.
»Sie schreiben demnach keine Gedichte?«
»Nur sehr schlechte Verse – Sonette mit viel zu wenig Zeilen und dergleichen.«
Lachend überlegte sie, ob ihr Gast tatsächlich ein Romantiker war oder sie lediglich mit dieser Behauptung amüsieren wollte. Und sie amüsierte sich wirklich. Sogar sehr. Deshalb wollte sie den Augenblick der Wahrheit möglichst lange hinauszögern, denn sobald offenbart wurde, was sie miteinander verband, würden sie sich nur noch damit beschäftigen. So musste es sein. Darauf würde sie bestehen. »Also sind Sie ein Romantiker«, sagte sie leise. »Und Sie geben es freimütig zu. Die meisten Angehörigen Ihrer Schicht würden lieber als Lebemänner gelten.«
Seufzend verdrehte er die Augen. »Dazu zwingt sie der unvermeidliche Vergleich mit Byron. Lieber lassen sich die Gentlemen herzlos nennen, bevor sie ihr Herz zu Papier bringen. Das wäre schön und gut, wenn man das erforderliche Talent besäße. Doch der Großteil von uns ist nicht so begabt, und die literarische Welt ist besser ohne uns dran. Falls Sie auf poetischen Ergüssen beharren, müsste ich sie stehlen. Und das würde mir verdammt schwerfallen, da Sie die meisten Texte von Shakespeare, Marlowe oder Jonson kennen. Also würden Sie mich sofort
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