Glut der Gefuehle - Roman
meinem Fahrer Bescheid geben. Wo soll das Dinner stattfinden?«
»In Miss Parrs Haus.«
Jetzt war South tatsächlich überrascht. »Gut gemacht, mein Junge.«
Dieses Lob trieb dunkle Röte in Doobins Ohren. Nur widerwillig entschloss er sich zur Ehrlichkeit. » Meine Idee war das nicht.«
South lachte und warf ein paar Shillinge in einen der Stiefel. »Das habe ich auch nicht angenommen.«
Aufmunternd tätschelte er Doobins Rücken. »Zähl das Geld noch nicht, sondern kümmere dich um die Droschke.«
»Sofort, Sir.«
Als India das Theater eine Stunde später verließ, wartete der Wagen an der üblichen Stelle. Der Fahrer sprang von seinem Sitz herunter und öffnete ihr die Tür. Erst jetzt überlegte sie, ob der Viscount inzwischen die Geduld verloren hatte und fortgegangen war. Mit der Hilfe des Kutschers stieg sie auf das Trittbrett und stellte fest, dass ihre Sorge unbegründet war. Southerton saß zurückgelehnt in der Droschke und schnarchte leise.
Belustigt wandte sie sich zu dem Fahrer. »Schläft er schon lange?«
»Kann ich nicht sagen. Jedenfalls habe ich dieses verräterische Geräusch bald nach seiner Ankunft gehört.«
India nickte. »Fahren Sie möglichst vorsichtig.«
»Zu Ihnen, Miss Parr?«
»Ja...« Zögernd schaute sie ihn an. Sollte sie den Kutscher um Diskretion bitten? Schließlich entschied sie sich dagegen. Ganz egal, was er antworten würde – sie konnte sich nicht auf ihn verlassen. Die Versuchung, Klatschgeschichten zu verbreiten, war zu groß. Und so nickte sie ihm nur zu und setzte sich dem Viscount gegenüber.
Der Fahrer schloss den Wagenschlag, und die Droschke schwankte lediglich ein wenig, als er auf den Kutschbock kletterte. Behutsam spornte er das Gespann an.
India legte ihr Retikül neben sich auf die Bank, dann zog sie ihren Wollschal enger um die Schultern. Die Nachtluft war kühl und feucht, aber nicht unangenehm. Nachdem sie die gefransten Enden des Schals über ihren Brüsten verknotet hatte, lehnte sie sich in die Polsterung. Ihr Blick glitt nicht zur Straße, wo trotz der späten Stunde zahlreiche Passanten entlangwanderten, sondern zu Southerton. Offenbar schlief er immer noch tief und fest.
Im schwachen Widerschein der Laternen, die an den Außenwänden der Droschke brannten, fand sie ihren ersten Eindruck bestätigt. Der Viscount besaß fein gezeichnete, aber markante Gesichtszüge, die einen starken Charakter bekundeten. Einerseits wirkte die Nase aristokratisch, andererseits aggressiv in ihrer prägnanten Form. Die Lippen zeigten energische und doch sinnliche Linien. Und die langen, seidigen Wimpern erschienen ihr fast feminin, im Gegensatz zu den dichten dunklen Brauen.
Nicht einmal im Schlummer sah Southerton schutzlos oder verletzlich aus. Trotz seiner entspannten Haltung erweckte er den Eindruck, er sei stets auf alles vorbereitet. Als in ihrer Fantasie das Bild eines schlafenden Tigers auftauchte, überraschte sie das kein Bisschen.
Lächelnd wandte sie sich von ihm ab. Weiß er, dass er nicht nur attraktiv, sondern beinahe schön ist? Vermutlich, entschied sie. Sogar Männer, die von der Natur viel weniger begünstigt waren, wurden von liebevollen Müttern und Matronen mit heiratsfähigen Töchtern umschwärmt und zur Selbstgefälligkeit animiert. Das wollte India ihm sagen. Nicht unbedingt, um ihm Komplimente zu machen, sondern einfach nur, um es ausgesprochen zu haben und
dann keinen weiteren Gedanken darauf zu verschwenden... Ein paar Minuten vertrieb sie sich die Zeit, indem sie eine so ungeheuerliche Aussage formulierte. Sie sind ein schöner Mann, Mylord, aber das spielt keine Rolle. Etwas kühner: Sicher ist Ihnen nicht entgangen, welch ein attraktiver Mann Sie sind, Mylord. Doch das beeindruckt mich nicht. Oder witzig: Und womit waren Sie beschäftigt, Mylord, seit sie Michelangelo Modell gestanden haben?
Natürlich würde sie nichts Dergleichen sagen. Im entscheidenden Moment würden ihr sicher die passenden Worte fehlen.
Sie sank noch tiefer in ihrem Sitz hinab und schloss die Lider. Bald nickte sie ein.
Dadurch entging ihr das Erwachen des Viscounts. Er bezahlte den Fahrer und kehrte in den Wagen zurück. Ruckartig schreckte sie hoch und schlug die Augen auf. Wusste er, dass ihr Schlummer nicht friedlich gewesen war?
»Darf ich Ihnen aus der Droschke helfen, Miss Parr?«
Als sie ihn verständnislos anstarrte, gestattete er sich ein schwaches Lächeln, obwohl er eher besorgt als amüsiert war. In ihrem Blick las er kein
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