Glut der Gefuehle - Roman
erforschen.«
»Allerdings nicht.«
Nachdenklich trank er seinen Brandy aus und stellte den Schwenker beiseite. »Vorerst ist nicht erwiesen, dass Kendalls Ermordung mit seiner Arbeit für das Außenministerium zusammenhängt. Aber davon müssen wir bei unseren Ermittlungen ausgehen.« Obwohl er die Notwendigkeit weiterer unverblümter Äußerungen bedauerte, fuhr er fort: »Der Zustand seiner Leiche ließ keine
Schlüsse auf die Todesart zu. Offensichtlich wurde er niedergeschlagen. Ob er sich gewehrt hat, steht nicht fest. Vielleicht war er gefesselt – mit Ketten oder Lederriemen.«
Kraftlos sank sie auf die Fensterbank. »Meinen Sie... er wurde gefoltert? Warum?«
»So ungern ich auch mit Ihnen darüber spreche – es geschieht zu Ihrem eigenen Schutz.«
»Oh|... ich verstehe|...« India verstummte, zu keinem klaren Gedanken fähig.
»Etwas Derartiges ist nicht zum ersten Mal geschehen«, fügte er hinzu und ermahnte sich, diesen harten Ton beizubehalten, um sie nicht zu beschwichtigen. Auf keinen Fall durfte er sie in trügerischer Sicherheit wiegen. »Wenn Mr Kendall auf so schreckliche Weise starb, war er gewiss nicht der Erste – und er wird nicht der Letzte bleiben.«
»Aber... Sie wissen nichts Genaues...«
»Nein«, gab er zu, »wir haben noch keine Gewissheit erlangt.«
»Vielleicht waren es Straßenräuber.«
»Natürlich, das wäre denkbar. Möglicherweise sprach Mr Kendall dem Grog im Keg and Kettle zu sehr zu und fiel mehrmals aufs Gesicht. Doch daran zweifle ich.« Nach einer kurzen Pause ergänzte er: »Und Sie wahrscheinlich auch, Miss Parr.«
»Ach, ich weiß nicht, was ich denken soll...« India leerte ihren Kelch. Normalerweise trank sie kein drittes Glas Wein. Aber nun ging sie zum Sideboard und schenkte sich noch einen Madeira ein. »Das alles muss nicht unbedingt bedeuten, dass ich in Gefahr schwebe. Zumindest halte ich mein Risiko nach wie vor für akzeptabel.«
Southerton traute ihr allerdings nicht zu, ihr Risiko
selbst einschätzen zu können. Und was sie akzeptabel fand, ließ ihn beinahe erschauern. Abrupt änderte er seine Taktik. »Erzählen Sie mir von Ihrem letzten Gespräch mit Mr Kendall. Woran erinnern Sie sich?«
»Wie gesagt – ich hänselte ihn wegen seiner Kleidung. Dann unterhielten wir uns über eine musikalische Soiree, zu der er eingeladen worden war. Ich stellte mehrere Fragen: Welche Künstler traten auf? Wer gehörte zu den Gästen? Was für ein Musikstück gefiel ihm am besten? Allzu lange sprachen wir nicht miteinander, weil andere Leute auf meine Aufmerksamkeit warteten. Höflich lauschten sie unserer Konversation und geduldeten sich, bis sie an die Reihe kamen.«
»Also hat die musikalische Soiree tatsächlich stattgefunden.«
»Das nahm ich an. Sie bot ihm eine Gelegenheit, mit mir über Lady Macquey-Howell zu reden, und ich konnte mich nach dem spanischen Konsul erkundigen.«
»Haben Sie ihm auf diese Weise die Informationen geliefert, die er brauchte?«
»Ja. An jenem Abend war nichts ungewöhnlich, das versichere ich Ihnen, Sir.«
Es sei denn, überlegte South, die musikalische Soiree war erfunden, und einer der Zuhörer in der Garderobe wusste es. War Kendall so unvorsichtig gewesen? Wohl kaum. Der Oberst beschäftigte keine Dummköpfe, und er wählte die Leute, die für ihn arbeiteten, sehr sorgfältig aus. Nur ganz wenigen vertraute er jene diplomatischen Missionen an, die Kendall ausgeführt hatte.
South beschloss, Nachforschungen über jene musikalische Soiree anzustellen. Es war kein besonders viel versprechender Anhaltspunkt – aber es gab sonst keinen.
»Schätzungsweise sind Sie dem Oberst bereits begegnet, Miss Parr.«
»Nur ein einziges Mal.«
Dass sie sich überhaupt getroffen hatten, war ungewöhnlich. Doch das wusste sie nicht. »Und was halten Sie von ihm?«
»Oh, er wirkte sehr überzeugend«, antwortete sie ohne zu zögern und lächelte. Erstaunt hob sie die Brauen, als er schallend zu lachen begann.
»So wurde er noch nie bezeichnet. Hartnäckig, ja. Wie ein halb verhungerter Straßenköter, der einen vergrabenen Knochen wittert. Das ist unser Oberst. Aber überzeugend? Das haben Sie sehr milde formuliert.«
»Vielleicht, weil ich kein Knochen bin«, erwiderte sie würdevoll.
»Was?« Er musterte sie eingehend und gab vor, nicht zu bemerken, dass sie sich kein bisschen geschmeichelt fühlte. »Ein Knochen? Nein, das sind Sie wirklich nicht.«
Als sie seine Augen funkeln sah, glaubte sie, seine Gedanken zu lesen.
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