Glut der Gefuehle - Roman
hinaus. Aber sie packte ihn an seinen Breeches und zerrte ihn in die Garderobe zurück.
»Moment mal, ich will noch sehen, was du in deinen Taschen hast.« Mit flinken Fingern durchsuchte sie seine Jacke. Unbehaglich versuchte er, sich aus ihrem Griff zu winden. Er war nicht nur über diese Einmischung in seine Privatsphäre erbost, sondern war außerdem fürchterlich kitzelig. »Ach, was haben wir denn hier? Hat dir jemand seine Visitenkarte gegeben?« Sie las den eingravierten Namen, dann studierte sie die schwungvolle Handschrift auf der Rückseite der Karte. »Pah, der Mann hat kein bisschen Fantasie! Was hat sie denn dazu gesagt?«
Zögernd streckte Doobin eine Hand aus, um die Visitenkarte zurückzufordern.
»Nein, mein Junge. Sammelst du diese Karten etwa? Die da behalte ich.« Als er die Hand nicht sofort sinken ließ, gab die Garderobiere einen sanften Klaps auf seine dünnen Finger. »Verschwinde jetzt, bevor ich mich anders besinne und dir doch noch die Ohren lang ziehe.«
Diesmal entkam er ihr ungehindert.
Mrs Garrety steckte die Visitenkarte in den Ärmel. »Für Rutherford lohnt sich die Mühe wohl kaum«, flüsterte sie spöttisch.
Den Weinkelch in der Hand, ging India zum Fenster. Ganz vorsichtig umfasste sie den Stiel – nicht weil sie fürchtete, den Madeira auf den Aubusson-Teppich zu schütten, sondern weil sie glaubte, sie könnte das Glas zerbrechen oder gegen die Wand schleudern. Vor dem Viscount wollte sie nicht zeigen, zu welchen Wutanfällen sie fähig war.
Sie löste die Schnüre an den schweren Samtvorhängen,
die lautlos zueinander glitten, und strich sie mit den Fingerspitzen glatt.
»Also bin ich für Mr Kendalls Tod verantwortlich?«, fragte sie und wandte sich wieder zu Lord Southerton. Mit den geschlossenen Vorhängen hinter ihrem Rücken fühlte sie sich kaum sicherer als am Fenster, durch das der Lampenschein zur Straße hinausgedrungen war. Neugierige Beobachter hätten sie beide deutlich sehen können. Und trotz der beträchtlichen Erfahrungen, über die der Viscount zweifellos verfügte, glaubte India, nicht einmal er könnte dieser Gefahr immer und überall entrinnen.
»Habe ich diesen Eindruck erweckt?« South ließ sie nicht aus den Augen. In den letzten Minuten hatte sie sich verändert, hatte hinter einer unsichtbaren Barriere Zuflucht gesucht. Dieses Verhalten kam ihr nicht wie eine schauspielerische Darbietung vor. Er war sich fast sicher, dass sie ihr bemerkenswertes Talent auf das Theater beschränkte. Im wirklichen Leben schien sie kein allzu gro ßes Selbstvertrauen zu besitzen und diesen Mangel nicht mit ihrer Bühnenkunst auszugleichen.
»Ja«, antwortete sie, das Weinglas an den Lippen.
»Und was glauben Sie ? Geben Sie sich die Schuld an seinem Ableben?«
Inzwischen hatte sie die Fassung wiedergewonnen, und so schreckte sie nicht vor dieser unverblümten Frage zurück. »Nein, falls Sie darauf anspielen, ob ich Mr Kendall getötet habe. Seien Sie versichert – das tat ich nicht. Aber ich habe mir oft überlegt, welche Folgen diese Geschichte haben könnte. Und da ich daran beteiligt war, bin ich bis zu einem gewissen Grad für den Mord verantwortlich. Bei meinen Kontakten mit Mr Kendall war ich nicht achtlos. Mir war durchaus bewusst, dass sich Außenstehende
für unsere Begegnungen interessieren würden. Und er erschien mir genauso vorsichtig.«
»Trotzdem wurde er enttarnt.«
»Ja.«
»Und so fand sein Leben ein grausames Ende.«
Empört starrte sie ihn an. Für ihren Geschmack klang seine Stimme zu unbekümmert. »Das scheint Sie nicht sonderlich zu bedrücken.«
Nun hätte er erklären können, er habe nur ihre Reaktion beobachten wollen. Stattdessen zuckte er die Achseln, womit er seinen Gleichmut noch betonte. Offensichtlich missfiel ihr sein Benehmen. Diese Entdeckung hätte ihn beruhigen müssen. Stattdessen erwachte sein Misstrauen. »Was haben Sie für Mr Kendall empfunden, Miss Parr?« Welch eine indiskrete Frage! Vielleicht würde er sich später dafür entschuldigen.
»Was... ich?« Ungläubig hob sie die Brauen. Vermutete er allen Ernstes, sie habe sich in den Mann verliebt? Nein, das war zu absurd. »Mr Kendall hat keine intensiveren Gefühle in mir geweckt als die meisten Männer meiner Bekanntschaft.«
»Damit beantworten Sie zwar meine Frage nicht, Miss Parr«, erwiderte er belustigt. »Doch das akzeptiere ich. Was Ihr Herz bewegt, ist Ihre Privatangelegenheit, und es steht mit nicht zu, Ihre Emotionen zu
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