Glut der Gefuehle - Roman
schloss sie wieder. »Nur eine Vorsichtsmaßnahme«, erklärte er und kehrte zum Sofa zurück. »Kennen Sie den Namen der Frau?«
»Leider nicht, wir hatten keinen persönlichen Kontakt. Einmal hänselte ich ihn wegen seiner Kleidung. Da wurde er verlegen und gestand mir, nach unserem Treffen habe er ein Rendezvous. Das war vor über einem Monat.«
»Was hatte er an?«
»Wie bitte?«, fragte sie.
Geduldig erklärte er: »Miss Parr, Sie sagten soeben, Sie hätten ihn wegen seiner Kleidung gehänselt. Was bewog Sie dazu?«
Die Augen geschlossen, versuchte sie, das Bild von Mr Kendall heraufzubeschwören. Er war mittelgroß und in Menschenmengen nicht aufgefallen. Deshalb hatte er sich für seine diversen Missionen gut geeignet. An jenem Abend hatte er sich in einem orangegoldenen seidenen
Frack durch das Getümmel vor ihrer Garderobe gedrängt. Mrs Garrety nahm ihm einen gelben Rosenstrauß ab und warf ihn achtlos auf den Toilettentisch, ohne eine Vase zu holen. Sehnsüchtig hatte er die Blumen betrachtet. Erst jetzt erkannte India, dass sie wahrscheinlich nicht für sie bestimmt gewesen waren.
Während sie den Frack beschrieb, hob sie die Lider nicht. »Darunter trug er eine grüngelbe Seidenweste|... dazu ein weißes Halstuch, ein Rüschenhemd, eine hellgelbe Kniehose. Vielleicht Brummels Einfluss? Ich glaube, ich fragte ihn danach... Ja, nun fällt es mir wieder ein. Er verneinte und erklärte, was seine Garderobe betreffe, würde ihn eine Frau beraten. ›Heute Abend bin ich mit ihr verabredet, Miss Parr‹, fügte er hinzu, ›und ich möchte mich nicht verspäten. Sonst glaubt sie womöglich, ich würde nicht kommen.‹«
»Hatte er nach der Aufführung eine Information für Sie?«
»Nein.« Jetzt öffnete India die Augen. »Ich hatte eine für ihn. Am nächsten Nachmittag sollte sich Lady Macquey-Howell mit dem spanischen Konsul treffen. Worum es dabei gehen würde, wusste ich nicht. Ich war bloß gebeten worden, Mr Kendall darauf hinzuweisen.«
»Teilte er Ihnen nichts mit?«
»Gar nichts.«
»Lag eine Karte bei den Rosen?«
»Nein. Wie mir gerade bewusst wurde, hatte er die Blumen vermutlich für seine Freundin gekauft – nicht für mich. Außerdem waren schriftliche Nachrichten nicht üblich. Unentwegt lerne ich Texte auswendig. Mit dieser Fähigkeit muss ich den Oberst beeindruckt haben. Was ich sehe, lese oder höre, präge ich mir ein. Mr Kendall gab mir immer nur mündliche Anweisungen.«
»In Ihrer Garderobe? Vor all den Leuten?«
»Sehr oft. Hätte ich die anderen Gentlemen weggeschickt, wenn ich mit ihm sprach, wären meine Garderobiere, die anderen Schauspieler und sogar meine treuen Anhänger misstrauisch geworden. Das haben Mr Kendall und ich recht gut hinbekommen.«
»Bis zu seiner Ermordung«, entgegnete South tonlos.
Drittes Kapitel
Das Bündel aus Unterröcken und Krinolinen, das Mrs Garrety im Arm hielt, versperrte ihr fast die Sicht in Indias Garderobe. Sie raffte die üppigen Falten zusammen, dann schaute sie sich um. Einige Sekunden lang schnüffelte sie mit geblähten Nasenlöchern. Es war kein besonderer Duft, der sie veranlasste, die Stirn zu runzeln, sondern die Tatsache, dass sie überhaupt nichts roch.
Hinter ihr stand die Tür offen. Als die Garderobiere die Kleidungsstücke auf einen Stuhl warf, hallte ihre Stimme durch den Korridor. »Ziehen Sie sich immer noch um, Miss Parr?« Auf der anderen Seite des seidenen Wandschirms, über dem Indias Samtpelisse hing, erklang keine Antwort. Die schattenhaften Umrisse einer weiblichen Gestalt bewegten sich allerdings auf dem Paravent. Doch das musste ein Trugbild sein, hervorgerufen von der fast herabgebrannten Kerze, die in der Nähe flackerte. Mrs Garrety blies sie aus und drehte die Öllampe auf dem Toilettentisch stärker. »Wo stecken Sie denn, Miss?«
Seufzend begann sie, die Röcke in den Schrank zu räumen. So viel hatte sie während der Vorstellung erledigen müssen. Und Doobin, der verflixte Junge? Ständig scharwenzelte er um Miss Parr herum, wenn er am wenigsten gebraucht wurde. Aber an diesem Abend hatte er sich rar gemacht.
Was sollte sie von der Abwesenheit ihrer Herrin halten?
Nur wenige Leute befanden sich immer noch im Theater. Vorhin hatte sie Mr Kent und Ben Whipple auf der Bühne gesehen, in eine ernsthafte Diskussion vertieft. Und die Schneiderin flickte ein Wams, das am Ende des ersten Aktes versehentlich zerrissen worden war. Bald würde auch Mrs Garrety den Heimweg antreten.
Wann mochte Miss
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