Glut der Gefuehle - Roman
daran mussten Sie natürlich denken.«
»Eine Vorsichtsmaßnahme.«
Das verstand sie. Lord Southerton war ein sehr umsichtiger Mann, sonst würde er nicht in den Diensten des Obersts stehen. »Arbeiten Sie bereits lange für den Oberst?«
»Länger als Sie.«
Eine weitere Erklärung würde er nicht abgeben, das wusste sie. »Lernten Sie ihn während des Krieges kennen?«
»Nein, er gehörte der Royal Army an, und ich fuhr zur See. Erinnern Sie sich?«
»Wie sind Sie ihm dann begegnet?«
»Verhören Sie mich etwa, India?«
»Kommt es Ihnen so vor? Ich bin bloß neugierig. Vor fünf Jahren habe ich den Oberst getroffen – ein einziges Mal. Seit damals nahm er nur Verbindung mit mir auf, wenn er mir einen Auftrag erteilen wollte und schickte jemanden zu mir.«
»Zum Beispiel Mr Kendall.«
»Ja.«
»Wie viele andere Mittelsmänner traten im Laufe der Jahre an Sie heran?«
»Etwa ein halbes Dutzend.«
»Wie mir der Oberst berichtete, waren Sie bis vor kurzem oft auf Reisen.«
India nickte. »Mit der Theatertruppe. Wir fuhren nach Frankreich, Italien, Belgien und Spanien. Trotz des Krieges waren wir fast überall willkommen. Deshalb dachte der Oberst wahrscheinlich, ich könnte ihm nützen.«
»Warum ausgerechnet Sie? Wieso kein anderes Ensemblemitglied?«
»Das weiß ich nicht. Dafür würde ich mich aber auch interessieren. Fragen Sie ihn doch danach!«
»Das tat ich bereits, und er antwortete, Sie seien sehr einfallsreich.«
Lächelnd schaute sie den Viscount an. »Sonst nichts?«
»Mehr sagte er nicht.«
»Er sah eine Aufführung von Viel Lärm um Nichts , bei der ich von einem betrunkenen Don Pedro und einem liebestollen Claudio belästigt wurde.«
»Waren Sie Beatrice oder Hero?«
»Keine von beiden, ich hatte eine viel kleinere Rolle – Ursula, eine von Heros Kammerfrauen. Wegen jener Possen fiel es meiner Herrin schwer, Don Pedros und Claudios Aufmerksamkeit zu erregen. Als Claudio meinen Rock zu heben versuchte, musste ich etwas unternehmen. Und so entriss ich ihm sein Schwert, um mich zu verteidigen. Das stand nicht in den Regieanweisungen...«
»... und so erkannte der Oberst, wie ideenreich Sie sind«, ergänzte South.
In diesem Moment polterte die Kutsche durch eine tiefe Furche. Beinahe wäre India von der Sitzbank gefallen, aber der Viscount hielt sie hastig fest. »Alles in Ordnung?«
»Ja, danke.«
Er klopfte gegen das Wagendach und rief: »Langsamer, Darrow!«
Falls der Kammerdiener antwortete, hörten sie es nicht.
»Haben wir es eilig?«, fragte India.
»Nicht so sehr, dass wir unser Leben riskieren müssten...« Als er ihren Magen knurren hörte, unterbrach er sich. »Oh, Sie sind hungrig!«
Da es sich nicht bestreiten ließ, nickte sie verlegen.
»Dann sollten wir uns vergönnen, was die gute Miss Brinker eingepackt hat.«
»Miss Brinker?«, wiederholte sie stirnrunzelnd.
»Die Tochter des Wirts«, erklärte South und zeigte India
den Korb, der zwischen dem Koffer und der Truhe auf dem gegenüberliegenden Sitz stand. »Darrow versicherte mir, wir würden nicht enttäuscht sein. Immerhin hat er die Speisen selbst ausgesucht.« Der Viscount stellte den Korb auf seinen Schoß und hob den Deckel. »Ach, Brot, Käse, Obst und eine Flasche Ale.«
»Bitte, geben Sie mir einen Schluck.« India streckte eine Hand aus.
In der Tat, es mangelte ihr an der üblichen Etikette, und das entzückte South. Hoffentlich werde ich mich nicht in sie verlieben... Dieser verschwommene Gedanke erinnerte ihn an Northam. Hatten den Freund ähnliche Gefühle bewegt, bevor er wie ein Stein vor Elizabeths Füße gefallen war, um ihr einen Heiratsantrag zu machen?
India öffnete die Flasche und setzte sie an die Lippen. Durstig begann sie zu trinken, und ihr Inneres erwärmte sich sofort. Sie reichte dem Viscount das Ale, dann nahm sie ein Stück Brot und eine Scheibe Käse aus dem Korb. Nachdem sie den ersten Hunger gestillt hatte, seufzte sie: »Vielleicht sollte ich meinen Appetit nicht so offen zeigen, das schickt sich nicht.«
Allerdings nicht . Doch das störte South nicht im Mindesten. »Wann haben Sie zuletzt etwas gegessen?«
»Gestern Morgen|... ein weich gekochtes Ei. Sonst nichts.«
»Kein Wunder, dass Ihnen übel wurde...« South fand einen Apfel im Korb, wischte ihn an seinem Ärmel ab und biss hinein.
»Erzählen Sie mir von Ambermede«, bat sie. »Gehört das Cottage Ihnen?«
»Nein, einem Freund.«
»Dem Marquess von Eastlyn? Dem Besitzer der Privatloge im Drury
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