Glut der Gefuehle - Roman
Schiffs war das unser einziger Zeitvertreib. Und wenn ein Gefangener darüber nachdenkt, wie er flüchten könnte, schöpft er stets neue Hoffnung. Wir hatten beschlossen, den Wächtern die Schlüssel für die Ketten abzunehmen und alle unsere Mitgefangenen zu befreien. Danach wollten wir das Schiff in unsere Gewalt bringen. Dieser Plan war durchaus vernünftig, weil sich viel mehr Gefangene als Wachen an Bord befanden.«
Angespannt wartete India auf eine Erklärung für den Fehlschlag. Dass etwas schief gegangen sein musste, las sie in Southertons ernsten grauen Augen, die ihrem Blick auswichen.
»Einer der Wächter feuerte seine Pistole ab«, fuhr er fort, »und Mr Blount brach zusammen – tödlich verwundet, was ich damals nicht bemerkte. Von dem Schuss alarmiert, rannten die anderen Wachtposten schreiend herbei. Für die Befreiung aller Gefangenen reichte die Zeit nicht. Und so floh ich allein.«
»Dazu mussten dich die Häftlinge gedrängt haben«, meinte India.
Wortlos nickte Southerton.
»Bedauerst du, dass du auf sie gehört hast?«, fragte sie.
»Jeden Tag«, gestand er heiser und starrte in seine Teetasse.
»Aber du|...«
»Außer mir konnten nur wenige Männer entkommen. Sieben wurden gehängt, weil sie uns beigestanden hatten, und einige starben an Krankheiten oder ihrer Verzweiflung.«
»Wie viele wurden gerettet? Mit deiner Flucht ist die Geschichte nicht beendet. Sicher bist du zurückgekehrt, um den Männern beizustehen, die in deiner Abwesenheit überlebt haben.«
»Willst du einen Helden aus mir machen, India?«
»Behauptest du etwa, du hast sie ihrem Schicksal überlassen?«
»Nein. Natürlich ging ich wieder an Bord. Doch da darfst du nicht allzu viel hineinlesen. Ich fühlte mich den Männern verpflichtet, die zurückgeblieben waren. Und so tat ich einfach nur, was ich tun musste.«
»Du bist ein ehrenwerter Mann, South. Selbst wenn du dich nicht für einen Helden hältst – nicht jeder würde sein Leben für seine Kameraden riskieren und sich Jahre später immer noch vorwerfen, er habe viel mehr tun müssen. Mit solchen Gedanken solltest du dich nicht quälen.«
Auf seinem Stuhl zurückgelehnt, musterte er sie über den Rand seiner Tasse hinweg. »Habe ich dich ehrenwert behandelt, India?«
Verwirrt zog sie die Brauen zusammen. »Ich weiß nicht, was du meinst|... Das ist etwas anderes.«
»Etwas anderes? Da bin ich mir nicht so sicher|...« Seine Stimme erstarb. Dann stellte er die Tasse ab und griff wieder nach dem Löffel, um den Haferbrei zu essen, der inzwischen erkaltet war. »Warum runzelst du die Stirn?«
»Ach|... es ist nur|...«
»Was?«
»Nichts.« Die Frage, die er ihr gestellt hatte, wollte sie nicht beantworten. Glaubte er, es wäre unehrenhaft gewesen, sie aus London zu entführen? Oder ihr Bett zu teilen – obwohl sie ihn dazu aufgefordert hatte? »Erzähl mir die restliche Geschichte«, bat sie nach einer kurzen Pause. »Wie konntest du das Schiff verlassen?«
Eigentlich hatte er erwartet, sie würde ihn zu einer Erklärung seiner Frage drängen. Dass sie darauf verzichtete, überraschte ihn allerdings nicht wirklich. Sie glaubte wohl kaum, er habe unehrenhaft gehandelt. Viel eher hielt sie sich selbst für unmoralisch. »Ich nahm einem bewusstlosen Wächter den Uniformrock und den Hut ab. Diese Sachen zog ich an, dann nutzte ich die allgemeine Verwirrung, um über die Reling ins Wasser zu springen.«
»Wusstest du, in welche Richtung du schwimmen musstest? Konntest du Land sehen?«
»Zunächst nicht. Ich schwamm einfach los. Da mir keine Beiboote folgten, erkannte ich schon bald, dass ich weit von der Küste entfernt sein musste. Zweifellos vermuteten die Franzosen, so weit könne ich unmöglich schwimmen. Damit hatten sie Recht.«
»Und wie|...«
»Reiner Zufall. Oder ein Wunder, würden manche Leute behaupten. Ein portugiesisches Fischerboot segelte vorbei, und die Besatzung holte mich an Bord.«
Indias Augen verengten sich. »Wie lange warst du im Wasser, bis du gefunden wurdest?«
»Einen Tag und eine Nacht.«
Um ihre Gefühle auszudrücken, fehlten ihr die Worte. Wie schlicht und beiläufig er formulierte, welch ungeheure Leistung er vollbracht hatte, ohne Stolz oder Triumph |...
»Die Portugiesen brachten mich zur Küste, gaben mir zu essen und versteckten mich. Drei Tage verstrichen, bevor ich zu Kräften kam. Dann ging ich nach Norden und schlich unbemerkt an Bord eines Postschiffs, das eine Blockade zu durchbrechen suchte und von
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