Glut der Gefuehle - Roman
von zwei Lakaien in diesen Raum getragen worden. Sein Kammerdiener hatte ihn betreut. Jetzt saß er in einem Rollstuhl neben dem Kamin. Auf einem Tisch zu seiner Rechten brannte eine Lampe, die seine Gesichtszüge reliefartig hervorhob. Eine karierte Decke verhüllte seine Beine, in seinem Schoß lag ein geöffnetes Buch. Langsam glitt sein Zeigefinger über eine Seite, als South eintrat.
Beide Männer schwiegen, bis der Oberst die Stelle, wo er seine Lektüre beendet hatte, mit einem Lesezeichen markierte.
»Sicher möchtest du etwas trinken«, bemerkte John Blackwood und legte das Buch beiseite. »Wie üblich findest du die Karaffen im Sideboard. Bring mir einen Scotch. Für diese geschwollene Wange und die aufgesprungene Lippe gibt es wahrscheinlich eine Erklärung.«
Matthew Forrester spürte, wie eine alte Erinnerung zurückkehrte, was nicht oft geschah. Vermutlich hing es mit dem Theaterstück zusammen. Die Gerichtsszene hatte eine Vision von Hambrick Hall heraufbeschworen. Mit diesen Reminiszenzen war er nicht allein gewesen. Wie auf ein Stichwort hatten die vier Freunde das schallende Gelächter in Eastlyns Loge ausgelöst.
In jenem Moment hatte South an die Bishops und das
alberne Tribunal gedacht. Und jetzt besann er sich auf seine erste Begegnung mit John Blackwood in der Bibliothek seines Vaters. Dort hatte er jene Pose beobachtet und später nachgeahmt, um die Bischöfe zu beeindrucken. Lässig. Herausfordernd. Respektlos.
Diese Pose konnte Oberst Blackwood nicht mehr einnehmen. Die Krankheit hatte seine Beinmuskeln geschwächt, seine Reflexe verlangsamt. An diesem Abend bewegte er seine Hände relativ kontrolliert. Das kam nur selten vor. Mit seinem dichten schwarzen Haar war er immer noch ein attraktiver Mann. Gewiss, am Oberkopf entstand eine kahle Stelle, und an den Schläfen zeigten sich ein paar graue Fäden, aber die entdeckte man erst auf den zweiten Blick. Vor allem die ausdrucksvollen dunkelbraunen Augen fesselten den Betrachter.
Nun inspizierten sie South durch eine golden geränderte Brille. Lässig forderten sie ihn heraus und untersagten ihm, auch nur eine Spur von Mitleid zu bekunden.
»Scotch|...?«, fragte Matthew. »Was würde dein Arzt dazu sagen?«
»Er gibt mir keine Anweisungen, die meine Laster betreffen, und ich nenne ihn keinen Scharlatan. Mit diesem Arrangement sind wir beide zufrieden.«
Lachend schüttelte South den Kopf. Dann zuckte er zusammen und berührte seine Unterlippe. Würde die kleine Platzwunde eine Narbe hinterlassen? Er öffnete das Sideboard, nahm die Scotch-Karaffe heraus und füllte zwei Gläser. Nachdem er dem Oberst den gewünschten Drink gebracht hatte, schürte er das Kaminfeuer. Schließlich sank er in den Ohrensessel gegenüber dem Rollstuhl. »Heute Abend war ich im Drury Lane.«
»Allein?«
»Nein, North brauchte etwas Ablenkung, weil die Herzoginwitwe
wieder einmal ihre Schwiegertochter herumzeigt.«
Die tiefen Falten neben Blackwoods Lippen milderten sich ein wenig, und er lächelte sanft. »Ach, Elizabeth...« Fast zärtlich sprach er den Namen der Tochter seines geliebten verstorbenen Vetters aus. »Natürlich verdient sie es, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, statt sich auf dem Land von Lord und Lady Battenburn herumkommandieren zu lassen. Geht es ihr gut?«
»Sogar ganz ausgezeichnet.« Über den Baron und die Baronin von Battenburn wollte South nicht reden. Sollte doch Northam seine Frau aus dem Dunstkreis der beiden entfernen|... Solche Dinge musste ein Ehemann selbstständig erledigen.
Blackwood nickte. »Also bist du mit Northam ins Theater gegangen.«
»Und mit Eastlyn. Wir saßen in seiner Loge. Auch Marchman war dabei.«
»Selbstverständlich durftet ihr Marchman nicht ausschließen«, meinte der Oberst ironisch. »Habt ihr euch eine Indiskretion erlaubt?«
South räusperte sich und starrte in sein Glas. »So könnte man’s nennen. Leider habe ich Aufmerksamkeit erregt.«
»Am besten erzählst du mir die ganze Geschichte.«
Und so schilderte South die Ereignisse im Drury Lane, wobei er sich nicht schonte.
Nachdem er verstummt war, blickte der Oberst eine Zeit lang schweigend vor sich hin. Dann trank er sein Glas leer. »Nun, ich glaube, es hätte auch etwas Schlimmeres passieren können.«
»Zum Beispiel, wenn ich aus Easts Loge gefallen wäre und mir den Hals gebrochen hätte.«
»Oh, das wäre besser gewesen, South. Nicht schlimmer. Immerhin hast du ihre Bekanntschaft gemacht, und es wird ihr nicht
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