Glut der Herzen - Roman
immer jene Geschicklichkeit, die ihn in jungen Jahren zu einem legendären Einbrecher gemacht hatte. Damals hatte er sich an ein sehr simples Prinzip gehalten: Nie über das Erdgeschoss eindringen, da eine eventuelle Falle oder Alarmanlage sich dort befindet.
Der Raum, in dem er landete, wirkte, als wäre er schon sehr lange unbewohnt. Es dauerte einen Moment, bis er das Ende eines langen Seils am schweren Bettgestell befestigt hatte. Dann ging er zur Tür und spähte in einen schmalen Korridor hinaus.
Reglos stand er da und lauschte mit allen seinen Sinnen. Zunächst war nichts zu hören. War er zu spät gekommen? Vielleicht waren die Hulseys gewarnt worden oder ihre Intuition hatte ihnen gesagt, dass es an der Zeit war, sich einen anderen Brotgeber zu suchen. Oder aber Luttrell hatte sie tatsächlich umgebracht.
Dann vernahm er schwache, dumpfe Geräusche aus den Tiefen des Hauses. Jemand war da.
Er stieg die Treppe in die Eingangsdiele hinunter, ging um die Ecke, an einem kleinen Salon und einem Frühstückszimmer vorüber. Das Erdgeschoss war leer, so wie jenes darüber. Aber ein schmaler Lichtstreifen war unter einer Tür zu sehen, die aussah wie eine Schranktür in der Küche.
Er öffnete die Tür und entdeckte eine Treppe, die in ein Untergeschoss führte. Der untere Raum war durch eine Gaslampe spärlich erhellt. Er zog die Schatten enger um sich und ging die Stufen hinunter.
Der Raum am Fuße der Treppe war alt. Nach dem Mauerwerk zu schließen, mindestens zwei Jahrhunderte älter als das Haus. Seit der Römerzeit hatte London sich ständig verändert. Unter den Straßen der Stadt lagen nicht nur Schicht um Schicht Ruinen, auch ganze Flussläufe verbargen sich unter dem Pflaster. Die architektonische Vergangenheit Londons kam den Erfordernissen seiner Branche sehr entgegen.
Auf einer Seite der unterirdischen Kammer lag der Eingang zu einem Korridor. Er drückte sich neben der Türöffnung an die Wand und blickte durch einen kurzen Steingang in einen anderen Raum.
Schatten tanzten wild im zweiten Raum. Drängende Stimmen hallten von den Wänden wider.
»Sind Sie sicher, dass es nötig ist, Sir? Ich konnte bereits Fortschritte mit meinen Experimenten an den Mäusen erzielen. In den nächsten Tagen hätten wir zu Versuchen am Menschen übergehen können.«
Ein junger Mann, meinte Griffin zu hören. Bertram Hulsey.
»Wir haben keine andere Wahl, mein Sohn.« Die Stimme eines alten Mannes. »Ich sagte schon, dass etwas schiefgegangen ist. Unser Bewacher kam mit den bestellten Vorräten nicht zurück, und von unserem Geldgeber hören wir kein Wort. Ich kenne solche Situationen. Wir müssen hier schleunigst verschwinden.«
»Aber die Geräte und all die Instrumente und Gläser. Wir können uns nicht leisten, das alles einfach hierzulassen.«
»Wir finden einen neuen Geldgeber. Es gibt immer jemanden, der Menschen mit unserem Talent sucht. Rasch, Bertram. Bis auf die Aufzeichnungen und den Farn lassen wir alles zurück.«
Griffin drosselte sein Talent ein wenig. Nun war er nicht mehr völlig unsichtbar, doch er wusste, dass Bertram und Basil seine Züge nicht ausmachen konnten.
Er griff unter seinen Mantel und zog den Revolver aus dem Schulterholster. Eine große Waffe machte in einer Situation wie dieser immer Eindruck, das hatte ihn die Erfahrung gelehrt. Leise schlich er den Gang entlang und betrat den zweiten Raum.
»Meinetwegen ist keine Eile nötig«, sagte er. »Basil und Bertram Hulsey, nehme ich an?«
Damit beschäftigt ihre Aufzeichnungen einzupacken, erstarrten die beiden. Der Ältere wies unheimliche Ähnlichkeit mit einem großen, spindeldürren und bebrillten Insekt auf. Bertram, ein junger Mann Anfang zwanzig, war noch nicht völlig kahl wie sein Vater, die Familienähnlichkeit aber war nicht zu übersehen.
»Wer sind Sie?«, wollte Bertram wissen. Er sah Griffin scharf und ein wenig schielend an.
»Hier also ist die Firma Hulsey und Sohn tätig.« Griffin nahm eine Glasphiole vom Arbeitstisch und betrachtete kritisch den Inhalt.
»Was machen Sie da?«, kreischte Basil. »Vorsicht, Sir. Auf dem Tisch stehen sehr flüchtige Chemikalien.«
»Ach, wirklich?« Griffin stellte die Phiole ab und ging zu dem an einer Eisenkette von der Decke hängenden Korb aus Stroh. Die feinen, anmutigen Wedel eines ungewöhnlich aussehenden Farns hingen über den Rand des Behälters.
»Finger weg vom Farn«, fauchte Basil ihn an. »Er ist außerordentlich selten und für unsere momentane Arbeit
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