Glut der Verheißung - Kleypas, L: Glut der Verheißung - Seduce me at sunrise
wusste nicht, dass ich einen jüngeren Bruder habe.«
»Erst nach dem zweiten Sohn ist sie zu Gott gerufen worden.« Noah wirkte nachdenklich. »Ich war damals schon so alt, dass mir der Tag im Gedächtnis geblieben ist, als Cole euch beide zu eurer Großmutter gebracht hat. Er erklärte Mamì , es sei ein Fehler gewesen zu glauben, man könne in beiden Welten leben, und er wolle sein früheres Leben wiederhaben. Also hat er seine Kinder bei unserer Sippe gelassen und ist nie zurückgekehrt.«
»Warum habt ihr uns getrennt?«, fragte Cam, der zwar immer noch erschöpft war, aber allmählich wieder zu Kräften kam.
Geschmeidig stand Noah auf und ging zur Ecke neben dem Ofen. Während er auf Cams Frage antwortete, bereitete er mit geschickter Hand Tee zu, zupfte Blätter von den Stängeln und gab sie in einen kleinen Topf mit heißem Wasser. »Nach ein
paar Jahren hat euer Vater wieder geheiratet. Und dann haben uns andere Vitsas erzählt, dass Gadjos gekommen sind, um nach euch zu suchen, ihnen Geld angeboten haben und selbst vor Gewalt nicht zurückgeschreckt haben, um an Informationen zu gelangen. Uns wurde klar, dass sich euer Vater seiner Mischlingssöhne entledigen wollte, die rechtmäßige Erben seines Vermögens und Titels waren. Er hatte eine neue Frau, die ihm weiße Kinder gebären würde.«
»Und wir waren im Weg«, sagte Kev grimmig.
»Anscheinend.« Noah seihte den Tee in eine Kanne ab, goss ihn in eine Tasse, rührte Zucker hinein und brachte sie Cam. »Trink, Camlo! Du musst das Gift aus deinem Körper schwemmen.«
Cam setzte sich auf und lehnte sich gegen die Wand, nahm die Tasse mit zittrigen Händen entgegen und schlürfte vorsichtig von dem Gebräu. »Um die Wahrscheinlichkeit zu senken, dass wir beide gefunden werden«, sagte er, »habt ihr mich behalten und Kev unserem Onkel mitgegeben.«
»Ja, Onkel Pov.« Noah runzelte die Stirn und wich Kevs Blick aus. »Sonya war seine Lieblingsschwester. Wir hielten ihn für einen guten Beschützer. Niemand hätte gedacht, dass er euch für ihren Tod verantwortlich machen würde.«
»Er hasste die Gadjos «, sagte Kev leise. »Das war ein weiterer Punkt, den er mir angelastet hat.«
Noah gab sich Mühe, ihn direkt anzusehen. »Nachdem wir von deinem angeblichen Tod gehört haben, hielten wir es für zu gefährlich, Cam bei uns zu lassen. Deshalb habe ich ihn nach London gebracht und ihm eine Arbeit verschafft.«
»In einer Spielhölle?«, sagte Cam mit skeptischem Unterton.
»Manchmal ist das beste Versteck in aller Öffentlichkeit«, kam Noahs trockene Antwort.
Cam schüttelte kläglich den Kopf. »Ich wette, halb London hat meine Tätowierung gesehen. Es grenzt an ein Wunder, dass Lord Cavan nicht Wind davon bekommen hat.«
Noah legte die Stirn in Falten. »Ich habe dir doch eindringlich gesagt, dass du sie immer verstecken sollst.«
»Nein, hast du nicht.«
»Natürlich habe ich es«, beharrte Noah und legte Cam die Hand auf die Stirn. »Ach, Moshto, du warst nie gut darin, anderen zuzuhören.«
Win saß ruhig neben Merripen. Sie lauschte dem Gespräch der Männer, war aber gleichzeitig damit beschäftigt, ihre Umgebung genauer in Augenschein zu nehmen. Der Vardo war alt, aber penibel sauber und aufgeräumt. Den Wänden entströmte ein schwacher Geruch nach Rauch, die Regale schienen den Geschmack von all den tausend Mahlzeiten in sich aufgesogen zu haben, die in diesem Wagen zubereitet worden waren. Kinder spielten draußen, lachten und stritten. Es war ein sonderbarer Gedanke, dass dieser Wagen einer Familie die einzige Zuflucht vor allen Widrigkeiten des Lebens bot, und die Sippe gezwungen war, den Großteil ihrer Zeit im Freien zu verbringen. So fremd ihr diese Vorstellung auch war, lag doch eine gewisse Freiheit darin.
Sie konnte sich gut vorstellen, wie sich Cam in diese Art zu leben fügen könnte, bei Kev hingegen
hatte sie ihre Bedenken. Es würde immer etwas in ihm stecken, das ihn dazu trieb, seine Umgebung zu kontrollieren und zu beherrschen. Etwas zu bauen, zu organisieren. Da er so lange bei ihrer Familie gewohnt hatte, hatte er sie zu verstehen gelernt. Und indem er sie verstand, hatte er sich bei ihnen eingefügt.
Sie fragte sich verwundert, wie er sich nun fühlen mochte, wo seine Roma-Vergangenheit aufgedeckt, jedes Geheimnis gelüftet worden war. Äußerlich schien er völlig ruhig und gefasst zu sein, aber tief in ihm musste ein Gefühlssturm wüten.
»… nach all der Zeit, die verstrichen ist«, sagte Cam
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