Glut der Verheißung - Kleypas, L: Glut der Verheißung - Seduce me at sunrise
bevor Kev sich rühren oder etwas erwidern konnte, hatte Win das Haus betreten. »Nein, Mutter«, hatte sie ruhig gesagt. »Ich weiß, was geschehen ist – meine Freundin Laura hat es mir gerade erzählt. Ihr Bruder war auch dort. Merripen hat unsere Familie verteidigt. Zwei andere Jungen haben ihm beleidigende Dinge über uns Hathaways zugerufen, und Merripen hat sie deshalb verprügelt.«
»Was für Beleidigungen?«, fragte Mrs Hathaway verwirrt.
Mit geballten Fäusten starrte Kev zu Boden.
Win schreckte vor der Wahrheit nicht zurück. »Sie kritisieren unsere Familie«, sagte sie, »weil wir einen Rom bei uns aufgenommen haben. Einigen Dorfbewohnern gefällt das nicht. Sie haben Angst, Merripen könne sie bestehlen oder mit Flüchen belegen oder sonst einen Unsinn anstellen. Sie machen uns verantwortlich, weil wir ihm ein Dach über dem Kopf gewähren.«
In der Stille, die nun folgte, zitterte Kev vor unsäglicher Wut. Und gleichzeitig war er von Traurigkeit erfüllt. Er belastete die Familie. Nie könnte er friedvoll bei den Gadjos leben.
»Dann werde ich gehen«, sagte er. Es war das Beste, was er tun konnte.
»Wohin?«, fragte Win mit einem überraschten Unterton in der Stimme. »Du gehörst hierher. Du hast kein anderes Zuhause.«
»Ich bin ein Rom«, war seine ganze Erklärung. Sein Zuhause war nirgendwo und überall.
»Du wirst selbstverständlich nicht gehen«, sagte Mrs Hathaway entschlossen. »Und sicherlich nicht wegen irgendwelcher Dorflümmel. Was würde es meine Kindern lehren, wenn eine solche Beschränktheit und ein derart verabscheuungswürdiges Verhalten obsiegte? Nein, du wirst bleiben. Das ist das Richtige. Aber du darfst dich nicht prügeln, Merripen. Ignorier sie einfach, und irgendwann werden sie das Interesse daran verlieren, dich aufzuziehen.«
Ein törichter Gadjo -Gedanke. Ignorieren funktionierte nie. Der schnellste Weg, die Sticheleien eines Raufbolds zu beenden, bestand darin, ihn grün und blau zu schlagen.
Eine neue Stimme mischte sich in das Gespräch ein. »Wenn er bleibt«, bemerkte Leo und betrat die Küche, »wird er wohl oder übel kämpfen müssen, Mutter.«
Wie Kev sah auch Leo mitgenommen aus, mit einem blauen Auge und einer aufgeplatzten Lippe. Die erschrockenen Ausrufe seiner Mutter und Schwestern bedachte er mit einem schiefen Grinsen. Immer noch lächelnd blickte er zu Kev. »Ich habe mir einen oder zwei der Kerle vorgenommen, die du übersehen hast.«
»Du meine Güte«, sagte Mrs Hathaway betrübt und besah sich die Hand ihres Sohnes, die aufgeschrammt war und blutete. »Das sind Hände, die
dazu geschaffen sind, Bücher zu halten. Nicht zum Prügeln.«
»Ich hoffe, ich kann beides«, erklärte Leo trocken. Sein Gesichtsausdruck wurde ernst, als er Kev ansah. »Ich lasse mir doch von niemanden vorschreiben, wer in meinem Haus wohnen darf. Solange du hierbleiben willst, Merripen, werde ich dich wie einen Bruder verteidigen.«
»Ich will euch keine Schwierigkeiten bereiten«, murmelte Kev.
»Dies sind keine Schwierigkeiten«, erwiderte Leo und bewegte behutsam seine Finger. »Schließlich gibt es Prinzipien, die es wert sind, dass man dafür eintritt.«
Drittes Kapitel
Prinzipien. Ideale. Die harte Wirklichkeit von Kevs früherem Leben hatte solche Dinge nicht zugelassen. Doch das Zusammensein mit den Hathaways veränderte ihn. Längst drehten sich seine Gedanken nicht ausschließlich um das nackte Überleben. Gewiss würde nie ein Gelehrter oder Gentleman aus ihm werden, aber er verbrachte Jahre damit, den angeregten Gesprächen der Hathaways über Shakespeare, Galileo, flämische Kunst im Vergleich zu venezianischer, Demokratie, Monarchie und Theokratie zu lauschen. Das Lesen hatte er gelernt, sich etwas Latein angeeignet und sogar ein paar Worte Französisch aufgeschnappt. Er hatte sich in jemanden verwandelt, den seine frühere Sippe nicht wiedererkannt hätte.
Kev wäre nie auf den Gedanken gekommen, Mr und Mrs Hathaway als seine Eltern zu betrachten, obwohl er einfach alles für sie getan hätte. Er hatte nicht den Wunsch, sich an Menschen zu binden. Das hätte mehr Vertrauen und eine größere Nähe erfordert, als er jemals aufzubringen vermochte. Aber er liebte den Hathaway-Clan, selbst Leo. Und dann war da noch Win, für die Kev gestorben wäre.
Er hätte Win nie durch seine Berührung gedemütigt oder die dreiste Hoffnung gehegt, jemals einen anderen Platz in ihrem Leben einzunehmen als den eines Beschützers. Sie war zu zart, zu
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