Glut der Verheißung - Kleypas, L: Glut der Verheißung - Seduce me at sunrise
weiter Ferne weilte, war schier unerträglich.
Kev hatte vergessen gehabt, wie sich dieser düstere Hass auf die Welt und all ihre Bewohner anfühlte. Es war eine unwillkommene Erinnerung an seine Kindheit, als er nichts außer Gewalt und Leid gekannt hatte. Und dennoch schienen die Hathaways zu erwarten, dass er sich verhielt, als sei nichts geschehen, dass er am alltäglichen Leben der Familie teilnahm und vorgab, die Erde würde sich auch weiterhin drehen.
Das Einzige, das ihn davor bewahrte, den Verstand zu verlieren, waren ihre Wünsche. Sie wollte, dass er sich um ihre Schwestern kümmerte. Und ihren neuen Schwager nicht umbrachte.
Kev konnte den Mistkerl nicht ausstehen.
Der Rest der Familie vergötterte Cam Rohan. Er war wie aus dem Nichts aufgetaucht und hatte Amelia, eine sturköpfige alte Jungfer, in seinen Bann gezogen. Hatte sie regelrecht verführt, was Kev ihm immer noch nicht verziehen hatte. Doch Amelia war überglücklich mit ihrem Ehemann, obwohl er ein halber Rom war.
Niemand von ihnen hatte je zuvor einen Menschen wie Rohan kennengelernt, dessen Wurzeln ebenso geheimnisvoll waren wie Kevs. Den Großteil seines Lebens hatte Rohan in einer Spielhölle, dem Jenners, gearbeitet und sich schließlich zum Mitinhaber aufgeschwungen, was ihm einen sehr komfortablen Lebensstil erlaubte. Erdrückt von seinem stetig anwachsenden Reichtum hatte er sein Vermögen so miserabel wie möglich investiert, um sich die Verlegenheit zu ersparen, ein wohlhabender Zigeuner zu sein. Das war ihm allerdings gänzlich misslungen. Das Geld hatte sich vervielfacht, und selbst die törichtsten Investitionen hatten atemberaubende Dividenden eingebracht. Rohan nannte es kleinlaut seinen Glücksfluch.
Doch wie sich herausstellte, erwies sich Rohans Fluch als sehr nützlich, da die Hathaways eine sehr teure Familie waren. Das Anwesen in Hampshire, das Leo im vergangenen Jahr zusammen mit seinem Titel geerbt hatte, war kürzlich abgebrannt und musste wieder aufgebaut werden. Poppy brauchte Kleidung für ihre Londoner Saison, und Beatrix wollte ihre Schulausbildung beenden. Hinzu kamen die hohen Rechnungen von Wins Sanatoriumsaufenthalt. Wie Rohan ihm aufgezeigt hatte, war er in der glücklichen Lage, viel für die Hathaways zu tun,
und das sollte Grund genug für Merripen sein, ihn zu tolerieren.
Also tolerierte er ihn.
Wenn auch nur ungern.
»Guten Morgen«, flötete Rohan beschwingt, als er ins Esszimmer der Familiensuite im Rutledge Hotel trat. Sie hatten das Frühstück bereits fast beendet. Im Gegensatz zum Rest der Hathaways war Rohan kein Frühaufsteher. Er hatte den Großteil seines Lebens in einer Spielhölle verbracht, wo die ganze Nacht hindurch Hochbetrieb herrschte. Ein Stadtzigeuner , dachte Kev verächtlich.
Frisch gewaschen und in Gadjo -Kleidung war Rohan auf seine exotische Art gut aussehend, mit dunklem Haar, das er einen Hauch zu lang trug, und einem Diamanten im Ohr. Er war dünn und drahtig, und seine Bewegungen glichen denen einer Katze. Bevor er sich auf dem Stuhl neben Amelia niederließ, beugte er sich herab und küsste sie auf den Kopf, eine öffentliche Zurschaustellung seiner Zuneigung, die sie schamhaft erröten ließ.
Kev blickte finster auf seinen zur Hälfte geleerten Teller.
»Bist du immer noch müde?«, hörte er Amelia ihren Gatten fragen.
»Ich werde wohl erst mittags richtig wach sein.«
»Du solltest eine Tasse Kaffee trinken.«
»Nein, danke. Ich kann das Gebräu nicht ausstehen.«
Da sagte Beatrix: »Merripen trinkt viel Kaffee. Er liebt ihn.«
»Natürlich tut er das«, erwiderte Rohan. »Schließlich
ist das Gebräu dunkel und bitter.« Er grinste Kev an, der ihm einen warnenden Blick zuwarf. »Wie geht es dir heute Morgen, Phral? «
»Nenn mich nicht so.« Obwohl Kev seine Stimme nicht erhob, schwang ein bedrohlicher Unterton mit, der alle Anwesenden erstarren ließ.
Nach einem Moment des Schweigens wandte sich Amelia mit betont heiterer Stimme an Rohan. »Wir gehen heute zur Schneiderin, Poppy, Beatrix und ich. Wir werden wahrscheinlich bis zum Abendessen unterwegs sein.« Während Amelia die Kleider und Hüte beschrieb, die sie brauchten, spürte Kev, wie sich Beatrix’ kleine Hand über seine legte.
»Ist schon in Ordnung«, flüsterte Beatrix. »Ich vermisse sie auch.«
Mit ihren sechzehn Jahren befand sich die jüngste Hathaway-Schwester gerade auf der Schwelle zwischen Kindheit und Erwachsenwerden. Sie war ein warmherziger, kleiner Wirbelwind, der ebenso
Weitere Kostenlose Bücher