Glut der Verheißung - Kleypas, L: Glut der Verheißung - Seduce me at sunrise
würde es dauern?«
»Fünf Minuten, vielleicht eine Stunde.« Kev sah, wie Amelias Hand zitterte, während sie Leo ununterbrochen durch die Haare fuhr.
Es schien die längste Stunde in Kevs Leben zu sein, während sie untätig dasaßen und Leo beobachteten, der zuckte und vor sich hinmurmelte, als sei er mitten in einem Alptraum gefangen.
»Armer Junge«, flüsterte Amelia und wischte ihm mit einem kühlen Lappen über das Gesicht.
Als sie sicher waren, dass keine Krämpfe auftreten würden, nahm Kev den Eierbecher und erhob sich.
»Kümmerst du dich jetzt um Win?«, fragte Amelia, die weiterhin starr auf ihren Bruder blickte.
»Ja.«
»Brauchst du Hilfe?«
Kev schüttelte den Kopf. »Bleib bei Leo.«
Er eilte in Wins Zimmer. Still und reglos lag sie auf ihrem Bett. Sie erkannte ihn längst nicht mehr, ihr Verstand und ihr Körper waren von der roten Hitze des Fiebers benebelt. Als er sie hochhob und ihren Kopf zurück auf seinen Arm fallen ließ, wand sie sich verstört.
»Win«, sagte er leise. »Liebste, bleib ruhig liegen.« Beim Klang seiner Stimme öffneten sich ihre Augen einen winzigen Spalt. »Ich bin hier«, flüsterte er. Er nahm einen Löffel und tauchte ihn in den Becher. »Öffne den Mund, kleine Gadji! Tu es mir zuliebe!« Aber sie weigerte sich, drehte das Gesicht weg, und ihre Lippen bewegten sich lautlos murmelnd.
»Was ist los?«, fragte er. »Win. Du musst die Medizin trinken!«
Sie flüsterte erneut.
Als Kev die krächzenden Worte verstand, starrte er sie ungläubig an. »Du wirst sie trinken, wenn ich dir meinen Namen verrate?«
Mühsam brachte sie ein Wort über die Lippen. »Ja.«
Seine Kehle schnürte sich immer enger zusammen, und seine Augenwinkel brannten. »Kev«, sagte er schließlich. »Mein Name ist Kev.«
Erst jetzt öffnete sie den Mund, und er ließ das tiefschwarze Gift ihre Kehle hinabtröpfeln.
Win entspannte sich. In Kevs starken Armen fühlte sich ihr Körper so schwerelos und heiß wie eine Flamme an.
Ich werde dir folgen , dachte er, welches Schicksal auch immer dir bestimmt ist .
Win war das Einzige auf Erden, das er je gewollt hatte. Sie würde ihre letzte Reise nicht ohne ihn antreten.
Kev beugte sich über sie und berührte ihre trockenen, heißen Lippen mit seinen.
Ein Kuss, den sie nicht spürte und an den sie sich nie erinnern würde.
Er schmeckte das Gift, während er mit seinem Mund über ihren glitt. Als er den Kopf hob, blickte er zum Nachttisch, auf dem der Rest der tödlichen Tollkirsche auf ihn wartete. Es gab mehr als genug, um einen gesunden Mann zu töten.
Kevs feste Umarmung schien das Einzige zu sein, das Wins Geist davor bewahrte, ihren Körper für immer zu verlassen. Also hielt er sie eng umschlungen und wiegte sie behutsam hin und her.
Die Welt war zu einem ruhigen, schattenhaften Zimmer zusammengeschrumpft, dem schlanken Körper in seinen Armen, dem Atem, der sanft aus Wins Lungen strömte. Sein Atem, sein Herzschlag passten sich diesem steten Rhythmus an. Er lehnte sich in die Kissen zurück und fiel in eine dunkle Trance, während er ihr gemeinsames Schicksal geduldig abwartete.
Kev hätte nicht sagen können, wie viel Zeit verstrichen war, während er mit Win auf dem Bett lag,
da weckten ihn eine Bewegung im Korridor und ein jäher heller Lichtschein.
»Merripen.« Es war Amelias heisere Stimme. Sie hielt eine Kerze in den Händen.
Kevs Hand glitt blind nach Wins Wange, legte sich auf ihr Gesicht, und ihn durchfuhr ein köstlicher Wonneschauer, als er ihre kühle Haut berührte. Er suchte an ihrem Hals nach dem Puls.
»Leos Fieber ist gesunken«, sagte Amelia. Kev konnte sie über das Tosen in seinen Ohren kaum verstehen. »Er wird genesen.«
Kevs suchende Fingerspitzen stießen auf ein schwaches, aber doch gleichförmiges Pochen. Wins Herzschlag … der Puls, in dem sein gesamtes Universum lag.
Fünftes Kapitel
London, 1849
Der Zuwachs zur Familie Hathaway in Gestalt von Cam Rohan hatte am Tisch für ein weiteres Gedeck gesorgt. Es war sonderbar, wie ein einziger Mensch alles derart verändern konnte. Und wie ärgerlich dies für manch anderen war.
Doch im Grunde empfand Kev mittlerweile alles als ärgerlich. Win war nach Frankreich abgereist, und es gab keinen Grund für ihn, höflich oder gar freundlich zu sein. Ihre Abwesenheit hatte ihn in ein wildes Tier verwandelt, das seiner Gefährtin beraubt war. Jede Sekunde des Tages spürte er, wie sehr er sie brauchte, und das Wissen, dass sie irgendwo in
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