Glut der Verheißung - Kleypas, L: Glut der Verheißung - Seduce me at sunrise
angeschlagenen Seele Trost gespendet, nachdem Win von Merripen derart verschmäht worden war.
Letztlich hatte sie akzeptiert, dass ihre Gefühle für Merripen nicht erwidert wurden. Sie hatte sich sogar an Leos Schulter ausgeweint. Ihr Bruder hatte ihr aufgezeigt, dass sie sehr wenig von der Welt gesehen hatte und so gut wie gar nichts über Männer wusste.
»Hältst du es nicht für möglich, dass deine Zuneigung für Merripen nichts weiter als das Resultat von zu großer Nähe gewesen ist?«, hatte Leo sie sanft gefragt. »Lass uns ehrlich sein, Win. Ihr beide habt nichts gemein. Du bist eine liebende, einfühlsame, gebildete Frau, und er ist… Merripen. Seine Lieblingsbeschäftigung ist das Holzhacken. Und anscheinend fällt es mir zu, den taktlosen Einwand vorzubringen, dass einige Paare allein im Schlafzimmer zueinanderpassen und sich auf jedem anderen Gebiet vollkommen fremd sind.«
Win war über seine unverschämte Unverblümtheit derart entsetzt, dass ihre Tränen schlagartig versiegten. »Leo Hathaway, willst du etwa andeuten …?«
»Für dich Lord Ramsay, meine Liebe«, zog er sie auf.
» Lord Ramsay , willst du etwa andeuten, dass meine Gefühle für Merripen rein fleischlicher Natur sind?«
»Sie sind sicherlich nicht intellektueller Natur«, hatte Leo grinsend gesagt, als sie ihm gegen die Schulter boxte.
Nach langem Nachdenken musste Win allerdings einräumen, dass Leo vielleicht in gewisser Hinsicht Recht hatte. Merripen war natürlich viel intelligenter und gebildeter, als ihr Bruder eingestehen wollte. Immerhin hatte Merripen Leo zu vielen philosophischen Diskussionen herausgefordert und sich mehr Griechisch und Latein eingeprägt als alle anderen der Hathaway-Geschwister. Doch Merripen hatte diese Dinge nur gelernt, um sich bei den Hathaways einzufügen, und nicht, weil er ein echtes Interesse an Bildung hatte.
Merripen war ein Naturmensch, der sich nach der Erde und dem Himmel sehnte. Niemals ließe er sich zähmen. Und er und Win waren so unterschiedlich wie Katz und Maus.
Da riss Julian Win aus ihren Gedanken, indem er ihre Hand in die seine nahm. Seine Finger waren weich, die Nägel gepflegt. »Winnifred«, sagte er zärtlich, »da wir nun das Sanatorium hinter uns gelassen haben, wird das Leben nicht mehr ganz so geregelt verlaufen. Ihr müsst auf Eure Gesundheit achten. Stellt sicher, dass Ihr Euch heute Abend ausruht,
egal wie verführerisch es sein mag, bis tief in die Nacht wach zu bleiben.«
»Ja, Doktor«, sagte Win und lächelte ihn an. Eine Welle der Zuneigung stieg in ihr empor, als sie sich an das erste Mal erinnerte, als sie im Sanatorium die Übungsleiter hinaufgeklettert war. Julian war bei jedem Schritt dicht hinter ihr gewesen und hatte ihr aufmunternde Worte ins Ohr geflüstert, während seine Brust ihren Rücken gestärkt hatte. Noch ein bisschen höher, Winnifred. Ich lasse Euch nicht fallen . Er hatte ihr keinerlei Arbeit abgenommen. Hatte ihr nur Sicherheit gegeben, während sie die Sprossen aus eigener Kraft erklommen hatte.
»Ich bin ein wenig nervös«, gestand Win, als Leo sie zur hathawayschen Suite im zweiten Stock des Hotels begleitete.
»Warum?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht weil wir uns alle verändert haben.«
»Das Wesentliche hat sich nicht verändert.« Leo packte sie sanft am Ellbogen. »Du bist immer noch das reizende Mädchen, das du immer warst. Und ich bin immer noch ein Wüstling mit einer Vorliebe für Alkohol und leichte Mädchen.«
»Leo«, sagte sie und warf ihm einen tadelnden Blick zu. »Du hast nicht vor, wieder auf deinen alten Pfaden der Sünde zu wandeln, oder?«
»Ich werde jeder Versuchung aus dem Weg gehen«, erwiderte er, »außer wenn sie mir direkt vor die Nase fällt.« Auf dem nächsten Absatz blieb er stehen. »Möchtest du dich einen Moment ausruhen?«
»Auf gar keinen Fall.« Enthusiastisch sprang Win
die Treppe hoch. »Ich liebe Treppensteigen. Ich liebe alles, was ich früher nicht konnte. Und von jetzt an steht mein Dasein unter dem Motto: ›Koste das Leben in vollen Zügen aus.‹«
Leo grinste. »Du solltest wissen, dass ich diese Worte in der Vergangenheit häufig ausgesprochen habe und anschließend immer in Schwierigkeiten geraten bin.«
Win sah sich entzückt in ihrer neuen Umgebung um. Nachdem sie so lange in Harrows asketischem Sanatorium gelebt hatte, genoss sie den Hauch von Luxus.
Das Hotel war elegant, modern und höchst behaglich. Um seinen Besitzer, den geheimnisvollen Harry Rutledge,
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